Das Denisqhe Reiqh und seine einzelnen Glieder. (Dezember 9.) 361
kehren wird und daß alle Parteien bereit sein werden, mit uns zusammen
zu arbeiten. In Marokko hat Deutschland große wirtschaftliche Interessen,
ie des Schutzes bedürfen. Ich hoffe, daß der Reichskanzler uns darüber
Aufklärung geben kann. Ich hoffe auch, daß er in der Kongofrage die
deutschen Interessen wahren wird. In der Wirtschaftspolitik müssen wir
festhalten an den durch die Handelsverträge vorgeschriebenen Bahnen. Da-
durch wird den Interessen von Handel, Industrie und Landwirtschaft am
besten gedient sein. Wir verfolgen keine Parteliinteressen, sondern setzen
das Vaterland über die Partei. Die Polenfrage ist eine Frage der Einzel-
staaten. Wir werden nach wie vor die Polen unparteiisch behandeln. Wir
haben freie Hand und werden freie Hand behalten. Wenn die Parteien
die Streitaxt senken und zusammenarbeiten, so werden wir auch wieder zu
befriedigenden Verhältnissen kommen. Das verlangt das Interesse des
Baterlandes.
Abg. Bassermann (nl.): Die Thronrede hat einen nüchternen
Charakter. Die Ursache liegt in der Wandlung der innerpolitischen Situa-
tion. Ich will nicht den wilden Streit im Lande hierher übertragen. Ich
will nur einzelne Vorwürfe widerlegen. Wir haben uns gewehrt und auf-
geklärt, und das ist uns übel genommen worden. Wie weit stehen wir
aber in dieser Beziehung England gegenüber zurück? Was würden die
englischen Lords sagen, wenn man ihnen vorwürfe: Ihr erkennt wohl den
Finanzbedarf an, weigert Euch aber, auf den Weg der Mehrheit zu treten.
Das würde man lächerlich finden. Wozu sollten wir der Mehrheit Ge-
fälligkeiten tun, um ihr die Arbeit zu erleichtern? Wir hatten ja keine
Veranlassung, der Regierung zu der Finanzreform zu verhelfen, die sie.
ursprünglich nicht annehmen wollte, ohne Regelung der Besitzsteuer-
frage. Wenn nun die Rechte den Vorwurf gegen uns erhebt, daß wir
bei der Ablehnung der Finanzreform nicht die Interessen des Vaterlandes
im Auge gehabt haben, so glaube ich, hier liegt eine Verwechselung vor.
Die konservative Partei kann das auf sich felber beziehen. Man hält uns
vor, wir sollten uns von den Linksliberalen nicht umgarnen lassen und
sollten uns den Jungliberalen nicht unterwerfen. Andere sagen, wir sollten
den Großblock errichten und wieder andere sagen, der Evangelische Bund
halte bei uns die Zügel. Wer bei uns die Verhältnisse kennt, der weiß
auch, daß wir uns nicht treiben lassen können lediglich durch extreme
Elemente. Wir müssen ruhig überlegen und das befolgen, was wir bei
der Finanzreform getan, als wir die Forderung aufstellten, daß sie nach
sozialen Gesichtspunkten gelöst werden solle. Der Reichskanzler hat uns
vor der Aufgabe solcher Tradition gewarnt. Wir haben die verabschiedete
Finanzreform nicht mitgemacht, weil wir glauben, daß sie nicht dem Interesse
unseres Vaterlandes entspricht. Im übrigen ist es sonderbar von der
Regierung, uns einen Vorwurf zu machen, da wir ja bis zuletzt den Stand-
punkt eingenommen haben, den die Regierung anfangs einnahm. Als wir
in die Finanzreform eintraten, da war eine große Opferwilligkeit vorhanden
und auch der Liberalismus war zu Opfern bereit. Auch wir haben an-
erkannt, daß eine Heranziehung des Konsums nötig sei. Das richtig auf-
gebaute Gebäude der Regierung wurde zertrümmert. Die allgemeine Besitz-
steuer wurde ausgeschaltet und damit auch der soziale Gedanke. Für die
Deszendentensteuer haben wir uns bereits 1905 ausgesprochen, das
geht aus einer Rede hervor, die ich damals gehalten habe und wo ich die
Heranziehung der Deszendentensteuer als einen gesunden Gedanken an-
erkannt habe. Dasselbe hat mein Parteifreund Büsing getan. Wir sind
dann auf den Boden einer Reichsvermögenssteuer getreten. Wir haben
da die Ausdehnung der Erschaftssteuer einstweilen zurückgestellt, weil wir