Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Penisqe Reit und seine einzelnen Glieder. (Dezember 13.) 393 
Steuern. Das Zentrum hat jetzt 500 Millionen indirekter Steuern bewil- 
ligt, denn auch Talonsteuer und dergleichen sind indirekte, den Verkehr 
belastende Steuern. Unter einer Besitzsteuer könnte man nur eine Be- 
steuerung der Erbschaften, des Vermögens und des Einkommens verstehen, 
und so hat man es auch bis zum April 1909 verstanden; jetzt aber be- 
hauptet das Zentrum, es seien 135 Millionen direkte Besitzsteuern bewilligt 
worden! So haben Sie Ihr Wort gegenüber den Wählern gehalten. Es 
ist sehr klar, weshalb Sie hier soviel in Kulturpaukerei machen, soviel von 
Ferrer sprechen; weil Sie die ungeheure Unzufriedenheit der Wähler in 
Ihren eigenen Reihen kennen. Der Katholische Volksverein hat in schärfster 
Weise die Beseitigung der Branntweinliebesgabe verlangt, bis ins Jahr 
1908; jetzt aber beklagen Sie sich über die sozialdemokratisch-liberale Hetze 
gegen Ihre Steuergesetzgebung, die diese Liebesgabe verewigt! Noch im 
April 1909 proklamierte die „Kölnische Volkszeitung“, daß das Zentrum 
unter allen Umständen auf 250 Millionen direkter Besitzsteuern beharren 
müsse; damals glaubte man freilich, daß der alte Block die Finanzreform 
machen würde; sowie Sie sahen, Sie könnten selbst dabei beteiligt sein, 
war es mit allen diesen Ueberzeugungen vorbei. Für die Ablehnung der 
Erbschaftssteuer muß jetzt der olle, ehrliche Familiensinn wieder herhalten. 
Der Abg. Heim hat in der bayerischen Kammer erklärt: „Mit dem alten 
Familiensinn lassen Sie uns endlich in Ruhe; das glaubt ja doch kein 
Mensch. (Heiterkeit.) Freiherr von Hertling verwies auf den jetzigen To- 
leranzantrag. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß nichts widerlicher ist 
als die Abhaltung von Gottesdiensten und die Spendung der Sakramente 
von irgendwelchen polizeilichen Schikanen abhängig zu machen. Wir alle 
sind der Meinung, daß die kleinliche Nadelstichpolitik, wie sie in einzelnen 
Bundesstaaten noch heute getrieben wird, so rasch wie möglich beseitigt 
werden muß. Wir wollen Aiue auf religiösem Gebiete vollkommene 
Toleranz geben; aber den Zweifel werden Sie uns doch gestatten, ob dann 
auch der Frieden wirklich eintritt. Der Ruf: „Die Religion ist in Gefahr“ 
ist für gewisse Parteien zu bequem. Die Deutsche Vereinigung, die Anti- 
zentrumskatholikenvereinigung, hat mit Recht darauf verwiesen, daß das 
Zentrum die beiden Schilder, das politische und konfessionelle, unter allen 
Umständen zu seiner Agitation notwendig hat. Wenn es Ihnen wirklich 
um den konfessionellen Frieden zu tun ist, so kommen Sie auch unseren 
Forderungen entgegen, um so mehr, als die vier Forderungen, die ich zu 
stellen habe, von allen anderen Parteien, von der äußersten Rechten bis 
zur äußersten Linken ohne weiteres akzeptiert werden. Verurteilen Sie 
mit uns die Aeußerungen eines geradezu wahnwitzigen religiösen Fanatismus, 
der nicht einmal am Grabe eines Kindes haltmacht; haben Sie den Mut, 
jene Kirchhofsgeschichten in Elsaß-Lothringen zu verdammen. Sorgen Sie 
dafür, daß mit der unwürdigen Konfessionsschnüffelei, die sogar den Kreis 
der Familie überschreitet, endlich haltgemacht wird. Verwerfen Sie mit 
uns die geradezu abscheuliche Paritätsschnüffelei vom Minister bis zum 
Laternenanzünder, und viertens, hören Sie endlich mit der unseligen kon- 
fessionellen Verhetzung und Zersetzung des deutschen Bolkes auf. Alle die 
Tausende von katholischen Vereinen und Organisationen stehen im Verdacht, 
lediglich politische Hilfsvereine des Zentrums zu sein. Es kann niemand 
glauben, daß das Zentrum keine konfessionelle Partei sei. Herr Gröber 
wollte wissen, was die Kreuzzeitung über das Zentrum gesagt habe. Sie 
schreibt: „Das Zentrum ist eine politische Mißbildung, eine Mißbildung 
zum Schaden des Staates und des Reichs.“ (Hört, hört! links.) Aber 
gehen Sie (rechts) mit dieser Mißbildung ruhig zusammen, Sie werden 
die Quittung vom deutschen Volk dafür noch erhalten. Der Liberalismus
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.