Das Penlsqe Reiq und seine einzelnen Glieder. (Dezember 14./15.) 397
In 246 Fällen handelt es sich um Arbeitnehmer--Arbeitsnachweise, von
denen 115 obligatorisch sind. 43 Fälle, darunter 29 obligatorische, sind
paritätisch, und nur in 10 Fällen handelt es sich um einen öffentlichen
Arbeitsnachweis, darunter in 4 Fällen um einen obligatorischen. Eine
zwangsweise Einführung von paritätischen, obligatorischen Arbeitsnachweisen
habe schwere Bedenken gegen sich. Was soll man tun, wenn die Arbeit-
geber es ablehnen, in den Arbeitsnachweis ihre Delegierten zu schicken,
wenn Arbeitnehmer als Beisitzer des paritätischen Arbeitsnachweises aus
irgendeinem Grunde nicht mitmachen? In allen diesen Fällen ist nur
möglich, daß man eine unbeteiligte Spitze in der Person eines Staats-
oder Kommunalbeamten einsetzt. Diese Staats= und Kommunalbeamten
werden sehr häufig in die Lage kommen, in schwierigen Fragen allein die
Entscheidung zu treffen, und damit tritt das ein, was man sonst hier im
Hause so sehr bekämpft, es wird nämlich eine Bureaukratie.
Bei der Besprechung, die sich auch noch über eine fast achtstündige
Sitzung des folgenden Tages erstreckt, erklärt sich Abg. Beuchelt (deutsch-
kons.) mit dem Arbeitsnachweis des Kohlensyndikats einverstanden, der
keine harten Bestimmungen enthalte und die Beseitigung der sich etwa
herausstellenden Mängel offen lasse. Abg. Fuhrmann (nl.) glaubt, daß
der durch den Arbeitsnachweis herbeizuführende Zustand besser sein wird
als der augenblicklich im Ruhrrevier vorhandene. Er berührt die all-
mähliche Steigerung der Durchschnittslöhne der Gesamtbelegschaften 1902
bis 1908 von 3,82 Mark auf 4,82 Mark bei einem Fall im letzten Jahre
um 5 Pfennig. Es handelt sich dabei um 335000 Bergarbeiter, von denen
120000 aus dem agrarischen Osten zugewandert sind. Da sei ein ge-
ordneter Arbeitsnachweis ein ernstes Problem der Sozialpolitik. Abgeordneter
Manz (isrs. Vp.) erklärt den Zwangsarbeitsnachweis für ein gefährliches
Experiment in der jetzigen schwülen Temperatur. Daß die Arbeitgeber
vor der Einführung des Zwangsnachweises nicht mit den Arbeitern Fühlung
genommen haben, sei ein unmoderner Standpunkt, der die Arbeiter leicht
auf den Gedanken bringen kann, daß man sie knechten will. Abgeordneter
Dr. v. Dirksen (Rp.) kann in dem Arbeitsnachweis keinen Grund zur
Beschwerde entdecken und kommt zu dem Schlusse: Wir haben mit einem
großen Teil der Bevölkerung den Wunsch, daß auf sozialpolitischem Gebiete
Ruhe wird, daß die Finanzkraft der Arbeitgeber endlich einmal geschont
wird, und daß man sich vor gewagten Experimenten hütet. Probieren
wir ein Jahr lang mal den neuen Nachweis aus. Mißständen kann dann
immer noch abgeholfen werden. (Beifall rechts.)
Abg. Behrens tchristl.soz.): Auf sozialpolitischem Gebiete können
wir noch lange nicht zur Ruhe kommen. Das beweisen die 118 Initiativ-
anträge, die dem Reichstag vorliegen. Die Erregung im Ruhrrevier ist
sehr groß. Die Mißstimmung tritt gerade bei den einheimischen Berg-
leuten scharf hervor. Die Großindustrie hat bereits die Produktion in der
Hand, jetzt will sie auch die Arbeiter in die Hand bekommen. Auch die
Grubenbeamtenschaft leidet unter diesen Verhältnissen. Die Arbeiter haben
den Eindruck, daß sie geknechtet werden sollen. Sogar Minister Sydow
hatte anfänglich Bedenken, die er allerdings nur in sehr zarter Form
den Unternehmern gegenüber äußerte. Nun wendet man ein, daß die Be-
stimmungen sehr harmlos seien. Du lieber Gott, auch in den Satzungen
der freien Gewerkschaften steht nichts davon, daß sie sozialistisch sind, und
doch wird das niemand ableugnen. Nicht auf den Buchstaben der Be-
stimmungen kommt es an, sondern auf den Geist, in dem sie ausgeführt
werden, und in dieser Hinsicht haben wir ernste Besorgnisse. Der Redner
wirft die Frage auf, ob die Arbeiter denn berechtigt seien, den Unter-