Das Veesche Reich und seine eintelnen Glieder. (Dezember 14./15.) 399
geeignet". Im übrigen liegt es im System; wenn man einmal diesen
roßen Sortierungsapparat aufgestellt hat, dann tut er auch seinen politi-
chen Dienst gegen die gewerkschaftliche und politische Betätigung der Arbeiter.
Jeder einzelne Arbeiter als Mensch und Familienvater fürchtet sich vor dem
unbekannten Buch. Das ist ein Buch, das erinnert an jenes mittelalterliche
Lied: Ein großes Buch wird aufgeschlagen, darin ist alles eingetragen, um die
Menschen zu verklagen! Es ist auch dieselbe Art des Mittelalters, wo die
Menschen abhängig waren von einer Macht, die sie nicht kontrollieren
konnten, die dunkel über ihnen waltete. Es ist eine große Heuchelei, wenn
man die Sache so darstellt, als ob in diesem Falle die Arbeiter die Kriegs-
willigen seien und die andern, die große Munition aufgefahren haben, um
jeden Streik bestehen zu können, nichts vom Kriege wissen wollen.
Nach einer Abschweifung auf das preußische Wahlrecht verlangt der
Redner freien Wettbewerb der Nachweise, solange sie auf dem Boden der
Freiwilligkeit stehen. „Führen Sie aber für einen ganzen Arbeitszweig,
wie jetzt im Kohlenrevier, einen obligatorischen Arbeitsnachweis ein, durch
den alle anderen Arbeitsnachweise ausgeschaltet werden, da muß das Gesetz
sagen, dann müßt ihr ihn paritätisch machen. Meiner Meinung nach ver-
dient der fachliche Nachweis vor dem kommunalen den Vorzug. Die Arbeits-
kammern können viel dazu beitragen, wenn man ihnen auch Verwaltungs-
pflichten gibt. Der Abgeordnete Fuhrman sagt: die paritätischen Arbeits-
nachweise haben die Gefahr, sich zu Arbeitsämtern zu entwickeln mit
Eingriffen in die Lohnhöhe usw. Ganz recht; aber ist es denn mit Ihrem
Arbeitsnachweis etwas anderes? Seiner Natur nach ist jeder Nachweis
eine Art von Arbeitsregierung. Das sollte auch von preußischen Ministern
eingesehen werden, aber sie wollen nicht, denn ihre Empfindungswelt ist
eine ganz andere. Wir haben gestern die Aeußerungen des Staatssekretärs
gehört; die Witwe, die an den Bergwerksaktien als Rentnerin beteiligt ist,
führt er an als Grund dafür, daß man die kapitalistischen Interessen weiter
großer Gesellschaften zu schonen hat! Aber all die zehntausend Witwen
und all die Leute, die durch diesen Arbeitsnachweis beiseite geworfen
werden, davon ist nicht die Rede. Das ist die plebejische Masse, das ist
nicht die erste Klasse im preußischen Staat, das sind untergeordnete Bürger.
Weihnachten, das Fest der Liebe, hat der Zechenverband ausersehen zur
Einführung dieses Arbeitsnachweises.“
Staatssekretär Dr. Delbrück: Herr Naumann meint: Ach, dieser
Minister kommt nicht hinweg über eine rein formalistische Behandlung
der Dinge. Ihm fehlt das Verständnis für das, was seit 1869 passiert
ist, ihm fehlt das Verständnis und der gute Wille! Wenn der Abgeord-
nete Naumann meine Rede noch einmal durchsieht, wird er finden, daß
mein Gedankengang doch etwas anders war. Ich habe zunächst prüfen
müssen, ob die bestehenden Gesetze einem Arbeitsnachweise, wie er im
Ruhrgebiet gegründet werden soll, widersprechen oder nicht. Und es ist
gut gewesen, daß ich das getan habe, denn ich bin dadurch noch einmal
in die Lage gekommen, der Legende entgegenzutreten, als ob der § 152
der Gewerbeordnung nur für die Arbeiter und nicht auch für die Arbeit-
geber geschaffen sei. Ich bin auch nicht ganz so einfältig in meinen volks-
wirtschaftlichen Anschauungen, wie Herr Naumann annimmt und gebe ihm
gern zu, daß man auch ohne so eingehende Studien, wie er sie gemacht
hat, zu der Anschauung kommen kann, daß sich die Verhältnisse seit 1869
eändert haben. Zweifellos hat die wirtschaftliche Entwickelung zu Ver-
hältnifen geführt, die man bei dem Erlasse der Gewerbeordnung nicht
vorausgesehen hat.
Eine andere Frage ist es, ob nicht gerade der § 152 die Grund-