Das Vesche Reich und seine einfelnen Glieder. (Januar 20. 21.) 27
20. Januar. (Sachsen.) In der Ersten Kammer wird der
Entwurf des Wahlrechtsgesetzes einstimmig angenommen. (Siehe
17. Januar.)
Berichterstatter war der Leipziger Staatsrechtslehrer Geheimrat
Wach. Er wies auf die gewitterschwangere Stimmung im Land und auf
die Verschärfung der Gegensätze unter den staaterhaltenden Parteien hin.
Ein politischer Marasmus müsse eintreten, wenn nicht noch in letzter
Stunde die Lösung des Wahlrechtsproblems gelinge. Graf v. Hohenthal
spricht nur wenige Worte. Er wünschte, wie die Regierung Opfer gebracht
habe, so möge auch die Bevölkerung unter Verzicht auf manche nicht er-
füllten Wünsche mit dem Erreichten zufrieden sein. Er schloß mit dem
*4 das neue Wahlrecht möge endlich den Frieden im Volke wieder
erstellen.
20. Januar. (Reichstag.) Das Zentrum bringt eine Re-
solution ein in betreff der Reform der Branntweinsteuer.
Hiernach werden die verbündeten Regierungen um die Vorlage eines
Gesetzentwurfs ersucht, durch den unter Aufhebung der Maischbottichsteuer,
der Materialsteuer und der Brennsteuer und unter gleichzeitiger entsprechen-
der Erhöhung der Verbrauchsabgabe ein höheres finanzielles Erträgnis.
aus der Branntweinsteuer wieder sichergestellt werde, unter geeigneter Be-
rücksichtigung der Interessen der landwirtschaftlichen sowie auch der kleinen
und mittleren Brennereien und auch der in einzelnen Teilen des Reichs bei
Herstellung des Branntweins erwachsenden höheren Produktionskosten, sowie
unter Wahrung der den süddeutschen Staaten zugestandenen Reservatrechte.
Der Vertreter der Reichspartei erklärt diese Resolution für un-
annehmbar.
20. Januar. Graf v. Hompesch, das älteste Mitglied des
Reichstags und Vorsitzender der Zentrumsfraktion, ## #einem
Schlaganfall im 83. Lebensjahre. Er war 35 Jahre hindurch Ver-
treter des vierten Wahlkreises des Regierungsbezirks Aachen.
21. Januar. (Reichstag.) Interpellationen der Sozial-
demokraten und Polen wegen der Handhabung des Reichsvereins-
gesetzes.
Die Interpellation der Sozialdemokraten lautet: Ist dem Reichs-
kanzler bekannt, daß das Reichsvereinsgesetz, insbesondere dessen § 12
(Sprachenparagraph) von Verwaltungsbehörden vielfach in einer Art und
Weise gehandhabt wird, die sich weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch
mit den Erklärungen der Vertreter der verbündeten Regierungen ver-
einbaren läßt? Welche Maßnahmen gedenkt der Reichskanzler zu ergreifen,
um gegen diese Uebelstände Abhilfe zu schaffen?
Die Interpellation der Polen, die auch von Zentrumsabgeordneten
unterstützt ist, hat folgenden Wortlaut: Ist dem Reichskanzler bekannt, daß
die Verwaltungsbehörden einzelner Bundesstaaten durch mißbräuchliche An-
wendung der §§g 3 und 12 (Versammlungs= und Sprachenparagraph) des
Reichsvereinsgesetzes Reichsangehörigen das Recht verkümmern, sich zu ver-
sammeln und Vereine zu bilden? Was gedenkt der Reichskanzler zu tun,
um diese Mißstände abzustellen?
Bei der Beantwortung weist der Staatssekretär des Innern v. Beth-
mann Hollweg darauf hin, daß im ganzen in den Bundesstaaten nur