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Hauptstadt Prag ist von der Kreiseinteilung ausgenommen. Die Kreis-
regierungen erhalten alle bisher der Statthalterei zugewiesenen Gegenstände,
die nicht ausdrücklich der Statthalterei vorbehalten werden. Außerdem
überwacht die Kreisregierung die ihr unterstehenden politischen Bezirks-
behörden und regelt deren Geschäftsführung. Beide Gesetze können nur
gleichzeitig in Kraft treten.
Ministerpräsident Frhr. v. Bienerth, der bei seinem Erscheinen
von den Tschechisch-Radikalen mit dem Rufe „Abzug Bienerth“ empfangen
wurde, ergriff sofort nach der Einbringung der Gesetzentwürfe über den
Sprachengebrauch sowie über die Errichtung von Kreisregierungen in Böhmen
das Wort. Während seiner Rede verübten die Tschechisch-Radikalen durch
Schreien und Pfeifen unaufhörlichen Lärm. Der Abgeordnete Schoc läutete
fortgesetzt auf einer Fahrradglocke und der Abgeordnete Lisy setzte eine
Knarre in Bewegung. Die Christlich-Sozialen nahmen die Rede mit Bei-
fallskundgebungen auf. Der Ministerpräsident wurde schließlich von vielen
Seiten beglückwünscht.
5. Februar. (Wien.) Der Reichsrat wird unter unerhörten
Skandalszenen geschlossen.
Die Tschechen erklärten sich aufs schwerste beleidigt, weil tags zuvor
der Sektionschef Mataja, der Leiter des Handelsministeriums den Gebrauch
der tschechischen Sprache als „zulässig“ bezeichnet hatte. Da ihnen keine
Genugtuung gegeben wurde, so brach beim Erscheinen des Handelsministers
auf den Bänken der Tschechen ein ohrenbetäubender Lärm los. Pultdeckel-
geklapper, langgezogene schrille Pfiffe, der Abgeordnete Lisy bläßt ein
mächtiges Horn, der Abgeordnete Fresl schlägt ein paar Schallbecken, der
Abgeordnete Burzival bearbeitet ein Tamburin. An diesem Konzert be-
teiligten sich außer den Tschechischradikalen auch andere Tschechen, nament-
lich von der agrarischen Gruppe. Der Präsident Weiskirchner schwingt
unaufhörlich die Glocke und ruft die tollsten Lärmmacher zur Ordnung.
Alles aber ist umsonst. Alle Minister stehen und schauen dem wüsten
Treiben etwa fünf Minuten zu, dann greift Dr. v. Bienerth in die Brust-
tasche, zieht ein großes versiegeltes Kuvert hervor und übergibt es dem
Präsidenten Weiskirchner. Darauf verläßt er mit den übrigen Ministern
den Saal. Weiskirchner öffnet das Kuvert und nimmt von dem darin
enthaltenen Schriftstück sichtlich erregt Kenntnis. Es dauert noch ziemlich
lange, ehe seiner fortgesetzten Aufforderung, Ruhe zu halten, Folge geleistet
wird; endlich kann er sich vernehmlich machen. Er teilt mit, daß die
18. Session des Reichsrats geschlossen, erklärt die Sitzung für geschlossen
und verläßt den Saal. Der erste Eindruck dieses Vorganges ist der der
Ueberraschung, dann beginnen die Tschechischradikalen wieder ihr miß-
tönendes Konzert. Nun aber macht sich die Erbitterung der deutschen
Parteien Luft. „Ihr seid an allem schuld! Schämt euch! Ihr seid eine
gihme für Oesterreich!“ schallt es aus ihren Reihen zu den Tschechen
inüber.
Plötzlich stürzt der Freisozialist Starck auf den Abgeordneten Lisy,
um ihm das Horn zu entreißen; dadurch entsteht ein Ringkampf zwischen
beiden. Die Tschechischagrarier, von dem Abgeordneten Udrzal geführt,
wollen dem Abgeordneten Lisy beispringen, deutsche Abgeordnete werfen
sich dazwischen. Der Tschechischagrarier Spatschek springt über mehrere
Bänke, um Udrzal zu Hilfe zu kommen, ist aber selbst augenblicklich in
dem dichtesten Faustkampf und die Zielscheibe der wuchtigsten Hiebe. Schließ-
lich gelingt es, ihn aus dem Getümmel herauszuziehen mit zerzaustem
Haar und Bart, zerfetztem Rock, von dem der Kragen herabbaumelt und