Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

416 IEIIIIITTIIIIIIIIIL 24.) 
Grenze der Zulässigkeit, hat sich nicht geändert. Das ist eine Tatsache, 
welche Europa bekannt ist und durch Entstellung und Unterstellung nicht 
aus dem öffentlichen Urteile Europas weggeschafft werden kann. Von der 
serbischen Politik zur bosnischen Frage führt kein Weg, keine Brücke. 
Dennoch hat Serbien, als wir unsere Stellung in Bosnien präzisierten, 
zu rüsten angefangen, und wenn nicht schon diese fatale Gleichzeitigkeit 
einem vollen Geständnisse der wahren Absichten gleichkäme, würden über 
den Zweck der serbischen Rüstungen die unverblümten Aeußerungen hoch- 
stehender Persönlichkeiten, der angesehensten Politiker und Zeitungen in 
Belgrad mit nicht mehr zu üÜberbietender Deutlichkeit Auskunft geben. 
Es ist kein Zweifel darüber möglich, was Serbien in Wirklichkeit will. 
Serbien mochte sich auf eine Etappenpolitik einrichten und verlangt heute 
einen Teil Bosniens, um bei guter Gelegenheit künftig seine Hand nach 
dem Ganzen auszustrecken. So ist kein Zweifel daran möglich, daß 
Serbiens ganze Politik und daß seine Rüstungen ausschließlich gegen uns 
gerüstet sind. Wenn Serbien der Meinung ist, daß seine Politik eine 
kriegerische und daß diese kriegerische Politik gegen uns gerichtet sein 
müsse, so hat es darüber als selbständiger Staat allein zu entscheiden, es 
ist aber selbstverständlich, daß die Politik Oesterreich-Ungarns davon nicht 
unbeeinflußt bleiben kann, und daß sie daraus jene Konsequenzen ableiten 
muß, welche im gleichen Falle jede auf ihre Würde bedachte Großmacht 
für notwendig und unumgänglich erachten würde. Dies wird man sowohl 
in Belgrad bedenken müssen, wie es auch alle Großmächte nicht werden 
aus dem Auge verlieren dürfen.“ 
24. Februar. Verschärfung der serbisch-österreichischen Krise. 
Man rechnet in Oesterreich sehr stark mit der Möglichkeit, daß 
Serbien zu Feindseligkeiten übergeht. Auch schenkt man den Meldungen 
Glauben, wonach Serbien nun doch die vielgenannte Denkschrift über seine 
Ersatzansprüche an die Mächte absenden wolle. Trotzdem hofft man noch 
immer, daß der Krieg vermieden werde. Allerdings weist man darauf 
hin, daß Iswolskis zweideutiges Spiel andauernd die Gefahr eines solchen 
Zusammenstoßes offenhalte, denn während er in Belgrad jetzt tatsächlich 
erklären lasse, Rußland könne für Serbien nichts tun, wenn es zur Er- 
öffnung von Feindseligkeiten schreite, sollen seine Versicherungen in Paris 
und London dahin lauten, er werde im Falle des Ausbruchs eines 
österreichisch-serbischen Krieges durch die öffentliche Meinung Rußlands 
gezwungen werden, Serbien nicht allein zu lassen. Iswolski zeige sich 
hier wieder als schlechter Kenner der menschlichen Psyche. Denn der Zweck 
seiner Drohungen in Paris und London sei, Oesterreich-Ungarn ein- 
zuschüchtern und ihm das Gespenst eines russischen Rückenangriffs vor- 
zugaukeln. Dieser Zweck werde aber völlig verfehlt, da Oesterreich-Ungarn 
wohl wisse, daß Rußland für ein militärisches Handeln ganz unvorbereitet 
sei und außerdem gewärtigen müsse, durch den Angriff auf Oesterreich- 
Ungarn einen europäischen Krieg zu entfesseln, da dann der casus foederis 
für Deutschland und Italien aus dem Dreibundvertrag gegeben sei, was 
wieder den casus foederis für Frankreich zur Folge hätte. Um Serbiens 
willen ein europäischer Krieg, das wäre selbst für Iswolskis leichtfertig 
unstäte Politik zu grotesk, um so grotesker, da Frankreich dabei gezwungen 
wäre, Rußland beizustehen in einer Sache, die weitab läge von dem eigent- 
lichen Bündniszweck unter Schädigung der Interessen seiner eigenen Sparer, 
die an russischen Werten über eine Milliarde, an serbischen beinahe eine 
halbe Milliarde besitzen. Der Zweck, Wien durch diese Drohung ein- 
zuschüchtern, sei unter solchen Gesichtspunkten deutlich erkennbar, daher
	        
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