Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

EIILIIITIIIEIIII— 431 
„Die Rede wird von den Deutschen in Oesterreich mit herzlichster 
Dankbarkeit vernommen werden. Aus den Worten des bayerischen Thron- 
folgers ist die Trauer um zertrümmerte Hoffnungen herauszuhören. Er 
beugt sich vor der geschichtlichen Notwendigkeit, welche die Deutschen in 
Oesterreich aus dem Deutschen Reiche hinauswies. Er ist sich jedoch klar 
bewußt, daß die Lösung von Königgrätz gleichzeitig der deutschen Nation 
durch die gewaltsame Ausscheidung der Deutschen in Oesterreich eine schwere 
Wunde zugefügt hat. Die Schilderung der Lage der Deutschen in Oester- 
reich ist nur zu wahr. Der Prinz empfiehlt als Hilfsmittel in der Not 
die Einigkeit der Deutschen in Oesterreich. Es wäre sehr unaufrichtig, zu 
leugnen, daß die Deutschen durch ihre Zwietracht noch mehr herabgekommen 
sind. Aber Prinz Ludwig kennt gewiß auch den tiefsten Grund dieser 
Spaltung. Die klerikale Partei hat seit dem Beginn der verfassungs- 
mäßigen Zustände ihren Platz stets neben den gefährlichsten Bedrängern 
des deutschen Volkes gewählt. Nicht bloß Königgrätz, auch die Klerikalen 
haben an seinem Niedergange schuld. Dazu kam, daß die österreichische 
Politik seit Jahrzehnten in einem geradezu unfreundlichen Verhältnisse 
zu den Deutschen war. Das deutsche Volk hatte sich nach unten und nach 
oben zu wehren, und alle Versuche der Einigkeit sind durch die Lockungen 
der ministeriellen Gewalt gestört worden. Wer menschlich urteilt, wird 
finden, daß unter diesen Verhältnissen die Deutschen in Oesterreich viel 
geleistet haben, wenn sie noch immer auch nach der Wahlreform ein starkes 
Element der Politik geblieben sind. Niemals hätte die Krone so bitteren 
Kummer um den Zusammenhang der Monarchie gehabt, wenn die Deutschen 
nicht gezwungen worden wären, sich auf die Verteidigung ihrer nationalen 
Interessen zu beschränken. Die zertrümmerte große deutsche Partei fehlt 
überall. Der politische Einfluß der Deutschen in Oesterreich ist eine 
dringende Notwendigkeit.“ (Siehe auch Deutsches Reich 3. Oktober.) 
5. Oktober. Der Gemahlin des Thronfolgers Erzherzogs 
Franz Ferdinand wird der Titel einer Herzogin mit dem Prädikat 
Hoheit verliehen. 
5. Oktober. (Ungarn.) In dem sieben Monate währenden 
Agramer Hochverratsprozeß gegen 53 Serben erfolgt das Urteil: 
Zwei Angeklagte, die Brüder Pribitschewitsch, wurden zu 12 Jahren 
Kerker, 29 Angeklagte zu Kerkerstrafen von 5 bis 8 Jahren verurteilt, 
22 wurden freigesprochen. 
5. Oktober. (Ungarn.) Die kroatischen Abgeordneten erheben 
Einspruch gegen das Urteil im Agramer Hochverratsprozeß, weil 
die Aussagen aus politischen Gründen den Zeugen suggeriert 
worden seien. 
5. Oktober. Zum Jahrestage der bosnischen Okkupation ver- 
öffentlicht der Publizist Dr. Heinrich Friedjung in der „Oester- 
reichischen Rundschau“ eine genaue Vorgeschichte der Verhandlungen 
zwischen Aehrenthal und Iswolski. 
Danach geht die Ankündigung Aehrenthals, daß Oesterreich Bosnien 
zu annektieren wünsche, schon auf den August 1907 zurück, als Iswolski in 
Wien die Freigabe der Dardanellendurchfahrt anregte. Als aber Iswolski, 
ohne an Oesterreich Mitteilungen machen zu wollen, mit England über die
	        
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