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makedonische Justizreform verhandelte und damit das Mürzsteger Programm
durchbrach, war Aehrenthals Gegenschlag die Einleitung der Sandschakbahn-
Aktion ohne vorherige Mitteilung an Iswolski. Am 19. Juni 1908 richtete
Iswolski einen Brief an Aehrenthal, worin er gegen den Bau der Sand-
schak--Bahn keine Einwendungen mehr erheben wollte, wenn Oesterreich dem
Bau der Adria--Bahn zustimmte und zugleich ein gemeinsames Vorgehen zur
Abänderung des Berliner Vertrages in dem Sinne vorschlug, daß Ruß-
land die freie Durchfahrt durch die Dardanellen, Oesterreich-Ungarn aber
die Annexion von Bosnien und der Herzegowina erlangen sollte. Dem
stimmte Aehrenthal zu und eröffnete im September 1908 zu Buchlau dem
russischen Minister Iswolski seine Absicht, den im Oktober in Wien zu-
sammentretenden Delegationen die Souveränitäts-Erklärung vorzulegen,
wozu Iswolski allerdings den Vorbehalt machte, daß die notwendige Ab-
änderung des Berliner Vertrages durch eine internationale Konferenz vor-
zunehmen sei. Kaum hatte aber am 5. Oktober 1908 in Wien die offizielle
Angliederung Bosniens und der Herzegowina stattgefunden, als Iswolski
bei seiner Reise nach Paris und London sich überzeugen muße, daß England
angeblich aus Rücksicht auf die befreundete junge Türkei den Dardanellen-
plan entschieden ablehnte. Damit begann das diplomatische Duell zwischen
Iswolski und Aehrenthal, in dem der letztere durch die Drohung siegte,
das Buchlauer Protokoll zu veröffentlichen.
7. Oktober. (Wien.) Bei der Bürgerbeeidigung weist der
Bürgermeister Dr. Lueger alle Bestrebungen, Wien für zweisprachig
zu erklären, zurück.
Bei der Zulassung dieses Prinzips müßte Wien eigentlich neun-
und mehrsprachig werden, was nicht anginge. Er werde streng darauf
sehen, daß Wien seinen deutschen Charakter aufrecht erhalte und in seiner
Verwaltung nur die deutsche Sprache zulasse.
8. Oktober. (Wien.) Deutsch-österreichisches Bündnis.
In der Sitzung des Gemeinderats führte Bürgermeister Dr. Lueger
aus: Am gestrigen Tage waren es dreißig Jahre, daß das Bündnis mit
dem Deutschen Reiche geschlossen wurde. Dieses Bündnis hat sich während
der ganzen Zeit seines Bestandes als eine der segensreichsten Institutionen
erwiesen. Wir alle gedenken noch dankbar an die Wirkung, die das Bündnis
speziell dahin gehabt hat, daß ein Krieg in der letzten Zeit vermieden wurde.
Der Bürgermeister erbat sodann die Ermächtigung, aus diesem Anlaß dem
Kaiser die alleruntertänigste Huldigung darbringen und gleichzeitig dem
Wunsche Ausdruck geben zu dürfen, daß dieses Bündnis für immerwährende
Zeiten erhalten bleiben möge. (Lebhafter Beifall. Die Gemeinderäte
erhoben sich von den Sitzen.)
13. Oktober. Professor Wahrmund.
Der Verwaltungsgerichtshof weist dessen Beschwerde wegen der Be-
hinderung seiner Seminarübungen an der Universität Innsbruck als un-
begründet ab. Wahrmund wurde nach Prag versetzt.
15. Oktober. Ferrer-Begeisterung.
Die von den deutschen und tschechischen Freidenkerverbänden auf
Sonntag, den 17. Oktober, anberaumte Trauerversammlung für Ferrer
wird verboten. Im Triester Landtag erzwingen die Liberalen durch Ver-
lassen des Saales zum Zeichen der Trauer den Schluß der Sitzung.