510 Fra#kreich. (Juli 30. 31.)
statuts dringen, das den Beamten alle gesetzlichen Freiheiten gewährleisten
soll; die Duldung einer Unterbrechung des öffentlichen Dienstes könne
jedoch nicht in Frage kommen. Die Regierung werde die Reformen zum
Schutze des Laienunterrichts weiter fortsetzen und die Verkehrsmittel weiter
ausbauen. Nach Ankündigung einiger neuer Gesetzentwürfe besagt die
Kundgebung, daß die Zolltarifdurchsicht im Geiste des alten Kabinetts
fortgesetzt werden solle, und schließt mit der Versicherung, daß die Re-
gierung gewillt sei, an der Organisation der Demokratie zu arbeiten.
Nachdem der Abgeordnete Charles Benoist noch seine Forderung
der Wahlreform vorgebracht hatte, erwiderte Briand in einer längern Rede
den Interpellanten. Die Aufgabe, sagt er, die er übernommen, habe ihm
Beklemmungen eingeflößt, aber er vertraue auf das Einvernehmen zwischen
der Mehrheit und der Regierung. Seit Jahren stehe er im Dienste der
republikanischen Partei und er betrachte sich als einen gewissenhaften Re-
publikaner. Er sei ein Mann der praktisch möglichen Politik. Die Arbeiter-
versicherung, die Budgetreform und das Beamtenstatut bezeichnete er als
notwendige Reformen. Zu der Frage der Begnadigung der Postbeamten
äußerte er sich ausweichend. Auf keinen Fall werde man die Rechte der
Regierung antasten lassen. Er sei für die Freiheit sehr eingenommen,
aber nicht da, wo die Freiheit ein Werk der Zerstörung sei. Die Wahl-
reform werde die Kammer im nächsten Oktober zu prüfen haben. Die
Rede erntete bei der Kammer starken Beifall.
Gleich darauf erhielt das neue Kabinett ein Vertrauenszeugnis,
und zwar mit 306 gegen 46 Stimmen. Nachdem die Abstimmung für
die Regierung gefallen war, stellte der Berichterstatter über den Staats-
haushalt den Antrag, in die Verhandlung über die acht Millionenforde-
rung für die Marine einzutreten. Der Antrag wurde angenommen. Da
der Ausfall derselben Beratung im Senate abgewartet werden muß, wurde
die Sitzung von der Kammer vorläufig aufgehoben.
30. Juli. Die Deserteure von Casablanca werden von dem
Präsidenten der Republik begnadigt.
31. Juli. Der Besuch des Zaren in Cherbourg.
An Bord der Standart heißt Präsident Fallières das russische
Kaiserpaar willkommen und lud den Kaiser ein, die Parade über das
Geschwader abzunehmen. Beide Staatsoberhäupter besteigen alsdann den
Kreuzer Galilée, der vor den vereinigten russischen und französischen
Schiffen vorüberfuhr. Das französische Geschwader setzte sich zusammen
aus sechs Panzerschiffen, sieben großen Kreuzern, zwei Aufklärungskreuzern
und zwanzig Torpedobootszerstörern. Beim Vorbeifahren brachten die
Mannschaften Hurras aus, während die Musik die russische Hymne spielte.
Nach der Parade, die eine halbe Stunde dauerte, kehrte der Kaiser auf
die Standard zurück und erwiderte dann auf dem Panzer Vérité den
Besuch des Herrn Fallières. Der Aufenthalt dauerte eine ganze Stunde
und erschien außerdem bemerkenswert durch die Herzlichkeit der Unter-
haltung. Die Minister Pichon und Iswolski hatten ebenfalls eine längere
Unterredung. Bei dem Mahl an Bord der Vérité brachte Präsident
Fallières folgenden Trinkspruch aus:
Sire, es ist mir eine aufrichtige Freude, Eure Majestät und Ihre
Majestät die Kaiserin auf der dritten Reise willkommen zu heißen, die Sie
seit Ihrer Krönung in unser Land machen. Frankreich und seine Regierung
wissen Eurer Majestät tiefen Dank für das Zeichen treuer Zuneigung und
unwandelbarer Freundschaft, die sie von Eurer Moajestät erfahren dürfen.