556 Rüßland. (Januar 16.—Februar 1.)
16. Januar. Entlarvung Asews.
Die „Humanité“ berichtet, daß das Haupt der terroristischen Or-
ganisation der russischen Revolutionäre Eugen Philippowitsch Asew als
Agent der russischen Polizeibehörde entlarvt worden sei. Seit
Jahren habe er ihr alle Anschläge der Terroristen verraten, nachdem er
sie selbst mit habe schmieden helfen. Zwei russische Revolutionäre Burtsew’
und Bakai, von denen letzterer ehemals höherer Polizeibeamter in Warschau
war, bis er zu den Revolutionären übertrat, ebenfalls von Asew verraten,
dann verurteilt und nach Sibirien geschickt wurde, von wo er entfloh und
nach Paris entkam, hätten Asew seit einem Jahre im Verdacht gehabt
und Nachforschungen über ihn angestellt, bis es ihnen vor kurzem gelungen
sei, unumstößliche Beweise über seine wahre Rolle beizubringen. Seit zehn
Jahren sei Asew unmittelbarer Gehilfe des Chefs der politischen Polizei
Ratschkowski gewesen, ohne daß die terroristische Organisation, die er
leitete, eine Ahnung davon gehabt habe.
22. Januar. Prozeß gegen General Alexejew.
Es wird festgestellt, daß die Firmen Hotchkiss und Schneider-Creuzot
sowie Vickers und Armstrong während des russisch-japanischen Krieges an
Rußland Kriegsmaterial geliefert haben. Ferner wurde in nichtöffentlicher
Sitzung die Geheimkorrespondenz mit der Firma Hotchkiss verlesen, wobei
es sich ergab, daß neben Alexejew, der die Schriftstücke mit dem Pseudonym
Olga zeichnete, noch eine ganze Reihe verdächtiger pseudonymer Unter-
schriften existieren. — Das Urteil lautete auf Dienstentlassung und auf
eine Geldstrafe von 10000 Rubel.
22. Januar. (Finnland.) Ablehnung der Petitionen des
Senats um Erhaltung des Selbstbestimmungsrechts.
Der finnische Senat richtete im letzten Sommer an den Kaiser das
Gesuch, zur Behandlung von Fragen, die für Rußland und Finnland
gemeinsam sind, eine finnisch-russische Kommission einzusetzen und ferner
die im Sommer vom russischen Ministerrat beschlossene Verordnung, wo-
nach alle finnischen Angelegenheiten zuerst von russischen Ministern geprüft
werden sollen, einstweilen außer Kraft zu setzen, bis die Verordnung an
höchster Stelle geprüft worden sei. Tatsächlich wurde auch eine Kommission
eingesetzt, aber eine rein russische, denn die Hinzuziehung des General-
gouverneurs von Finnland, Böckmann, änderte nichts an ihrem Charakter.
Unter Vorsitz des Ministerpräsidenten Stolypin erklärte die Kommission
das Gesuch des finnischen Senats für unannehmbar, schon darum, weil es
die Rückkehr zu einer Ordnung vorschlüge, über die längst eine Entscheidung
etroffen sei. Zudem hätte der finnische Senat gar nicht das Recht,
Fragen, die das Reich im allgemeinen angingen, anzuregen, und hierzu
gehöre die Verordnung des russischen Ministerrats über die finnischen
Angelegenheiten. Gleichzeitig mit dieser Ablehnung wurde beschlossen, daß
das Gutachten der Kommission dem Kaiser durch den russischen Minister-
präsidenten, nicht durch den Ministerstaatssekretär für Finnland in Peters-
burg, vorgetragen werden soll. Damit ist das Selbstbestimmungsrecht der
Finnländer nicht bloß in allen allgemeinen Fragen, sondern auch in rein
innern Angelegenheiten Finnlands durchaus durchbrochen.
1. Februar. Russische Vermittlungsvorschläge zur
Verständigung zwischen Bulgarien und der Türkei.
Die „Petersburger Telegraphen-Agentur“ erfährt aus maßgebender
Quelle: Angesichts der in der letzten Zeit zwischen der Türkei und Bul-