Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

568 Rußland. (Juni 18.) 
wird durch Verordnung des russischen Marineministers abgelenkt; der eng- 
lische Frachtdampfer „Woodburn“, der die Anordnungen mißversteht, wird 
von einem russischen Torpedoboot beschossen, wobei ein Maschinist verwundet 
und der Dampfkessel beschädigt wird. Nachdem der Zar in deutscher Marine- 
uniform sich zur „Hohenzollern“ hinüberrudern ließ, erwidert Kaiser 
Wilhelm den Besuch in der Uniform seines Wiborger Regiments an Bord 
"dPb z tandart", auf dem sich auch die Zarin und die kaiserlichen Kinder 
efinden. 
Bei der Festtafel an Bord des „Standart“ bringt der Kaiser Ni- 
kolaus folgenden Trinkspruch aus: „Ich freue Mich, Eure Majestät in 
unserer Mitte begrüßen zu können und Eure Majestät willkommen zu 
heißen in Erwiderung der Gastfreundschaft, die Mir vor zwei Jahren in 
Swinemünde dargeboten wurde und die zu Meinen wertvollsten Erinne- 
rungen zählt. Ich nehme diese glückliche Gelegenheit wahr, um Eurer 
Majestät zu versichern, daß Ich den aufrichtigen und unveränderlichen 
Wunsch hege, die traditionellen Beziehungen herzlicher Freundschaft und 
egenseitigen Vertrauens dauernd zu erhalten, die unsere beiden Häuser 
* verbunden haben und die zu pflegen Ich lebhaft wünsche als ein 
Unterpfand nicht bloß der guten Beziehungen zwischen unseren beiden 
Ländern, sondern auch des allgemeinen Friedens. Ich erhebe Mein Glas 
und trinke von ganzem Herzen auf die Gesundheit und das Glück Eurer 
Majestät, auf die Gesundheit Ihrer Majestät der Kaiserin, auf das Wohl- 
ergehen der Kaiserlichen Familie und auf die Wohlfahrt des Deutschen Reiches.“ 
Kaiser Wilhelm erwidert folgendes: „Die so liebenswürdigen 
Worte, welche Eure Majestät an Mich soeben richteten, haben Mich lebhaft 
gerührt, und Ich danke Eurer Moajestät dafür und spreche zugleich Meine 
tiefe Dankbarkeit Eurer Majestät und Ihrer Majestät der Keiserin für 
den so herzlichen Empfang, welcher Mir aufs neue wieder an Bord des 
„Standart"“ bereitet worden ist. Gleich Eurer Majestät sehe Ich mit Freuden 
in diesem Empfang eine neue und wertvolle Bestätigung der engen und 
aufrichtigen Freundschaft, welche unsere Personen und unsere Häuser ver- 
bindet. Ich sehe darin zu gleicher Zeit eine neue Bestätigung der tradi- 
tionellen Beziehungen herzlicher Freundschaft und des Vertrauens, die den 
vielseitigen Interessen und den durchaus friedlichen Gesinnungen unserer 
Länder gleichermaßen entsprechend zwischen unseren Regierungen bestehen. 
Ich trinke auf das Wohl Eurer Majestät, Ihrer Majestät der Kaiserin 
und der ganzen Kaiserlichen Familie und ebenso auf das Gedeihen des 
russischen Reiches in den Bahnen, welche die hohe Weisheit Eurer Majestät 
ihm vorgezeichnet hat.“ 
In der russischen Presse gibt sich große Unzufriedenheit mit 
der Begegnung der beiden Kaiser kund; nur die halbamtliche „Rossija“ 
der „Grashdanin“ und das Oktobristenblatt „Golos Prawdy“ begrüßen 
die Begegnung als Zeichen freundschaftlicher Beziehungen zu Deutschland, 
die für Rußland unbedingt notwendig seien. Fürst Uchtomski schreibt: 
„Die gesamte russische Opposition verfolgt zähneknirschend die Begegnung. 
Indessen, blinder Deutschenhaß kann nur den Feinden des Vaterlandes 
dienen. Ein künstliches Anfachen des Hasses gegen die Deutschen, die uns 
unter allen arischen Völkern am nächsten verwandt sind, geht von denen 
aus, die Rußlands Untergang als Weltmacht wünschen.“ 
18. Juni. Zur Kaiserbegegnung. 
Dem Vertreter des Wolffschen Telegraphenbureaus wird auf dem 
Kaisergeschwader von berufener Stelle mitgeteilt: Die Begegnung zwischen 
dem Zaren und dem Deutschen Kaiser ist ein neuer Beweis der Beziehungen
	        
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