Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

XVII. 
Türkei und Eghpten. 
1. Türkei. 
1. Januar. Prunkmahl im Jildispalast. 
Der Sultan erklärt in einer von ihm verlesenen Rede: „Diese 
Versammlung ist gleichzeitig der Beginn einer fruchtbringenden Aera un- 
serer Verfassung. Ihre Aufgaben sind wichtig und heilig; Ich wünsche 
unbedingt, daß ihre Bemühungen und Ausdauer im Verhältnis zu ihrer 
Wichtigkeit und Heiligkeit stehen. Ich gebe die Versicherung, daß Ich 
Meine Seele dem Schutz der Bestimmungen unserer Verfassung widme, 
welche heilige Rechte verbürgt. Als Ihr Kalif und Padischah bin Ich der 
erste Feind jedermanns, der diese antasten möchte."“ 
5. Januar. Das Boykottkomitee gegen österreichische 
Waren weist die Zollbeamten an, nur solche Waren ausschiffen zu 
lassen, deren Originalfaktura das Visum des Komitees trägt. 
6. Januar. Abt Chrysostomus vom Kloster Lawra auf dem 
Berge Athos wird auf der Brücke der vierzig Märtyrer von un- 
bekannten Tätern ermordet. 
12. Januar. Das türkische Kabinett nimmt die österreichischen 
Vorschläge über Bosnien und die Herzegowina an. 
13. Januar. (Kammer.) Der Großwesir Kiamil Pascha 
beantwortet eine Interpellation über die äußere und innere Politik: 
„Die Wiederherstellung einer konstitutionellen Regierung und die 
in grandioser Form erfolgte Kundgebung einer auf der nationalen Kraft 
aufgebauten politischen Existenz wurden von allen Mächten mit achtungs- 
voller und aufrichtiger Sympathie begrüßt. Der erste befriedigende Erfolg 
bestand darin, daß Rußland und die andern an den mazedonischen Re- 
formen beteiligten Mächte auf ihre besonders für die drei Wilajets auf- 
gestellten Vorschläge verzichteten und die Reformen abwarteten, die die 
konstitutionelle ottomanische Regierung selbst durchführen werde. Wie schon 
in der Thronrede erklärt wurde, hat Bulgarien, während die Pforte mit 
der Organisation des neuen konstitutionellen Regimes beschäftigt war, er- 
klärt, daß es seine Unabhängigkeit proklamiert habe, und unmittelbar 
darauf hat Oesterreich-Ungarn kundgegeben, daß es unter Zurückziehung 
seiner Truppen aus dem Sandschak Nowibasar, der sich unter seiner Okku- 
pation befand, sich entschlossen habe, Bosnien und die Herzegowina an- 
zugliedern. Wir haben gegen diese beiden Eingriffe protestiert, diese An- 
gelegenheit den andern Großmächten zur Kenntnis gebracht und den Zu-
	        
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