Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

44 ILIIILLIIIIIIIIIII 26.) 
müssen, ist, daß die Herrschaft der Konservativen durchaus notwendig ist 
und daß sie zu identifizieren sei mit dem Staatswohl im allgemeinen. 
(Sehr gut! links.) Der Abg. v. Pappenheim hat gesagt, eine derartige 
Veränderung der Machtstellung der Konservativen bedeute auch eine 
Schwächung der Machtstellung der Krone. Ja, warum denn? Sind 
Sie die einzigen berufenen Schützer der Krone? Gerade darüber mögen 
die Herren mir ein offenes Wort gestatten. Man kann ja, wenn man die 
Stellung der Krone im politischen Leben in Betracht zieht, auf zweierlei 
Standpunkten stehen, entweder auf dem Standpunkte des englischen Parla- 
mentarismus, wo die Krone eigentlich als Machtfaktor ausscheidet und 
dafür das Ministerium an die Stelle der Krone tritt. Wir alle, die 
Konservativen und auch wir, sind darin einig, daß wir dieses konstitutio- 
nelle System in Deutschland nicht wünschen, sondern daß wir alle Wert 
legen auf eine starke Krone, auf eine selbständige Initiative der Krone in 
unserm Staatsleben. Wenn man auf diesem Standpunkt steht, den doch 
auch die Konservativen in erster Linie als den ihrigen anerkennen, dann 
muß man aber auch den Willensmeinungen der Krone eine grundlegende 
Bedeutung beilegen (Sehr richtig! links), und was haben Sie (nach rechts) 
nun getan? Die ganzen Ausführungen des Abg. v. Richthofen waren doch 
eine außerordentlich scharfe Kritik gerade dieser Willensmeinung der Krone, 
wie sie in der Thronrede niedergelegt war. (Sehr gut! links.) Wenn 
Sie also trotzdem sagen, Sie wollten die Krone schützen, so schützen Sie 
die Krone gewissermaßen gegen sich selber. Das nennt man aber nicht 
mehr Schutz, das nennt man auf gut Deutsch Bevormundung. (Lebhafte 
Zustimmung links. Widerspruch rechts.) Ob Sie damit der Krone gegen- 
über glaubhaft machen werden, daß Sie die einzige notwendige Stütze der 
Krone sind, lasse ich dahingestellt. Ich lasse auch dahingestellt, ob Sie der 
Krone klar machen werden, daß Ihr eigenes Parteiinteresse mit dem Inter- 
esse der Krone identisch ist. Wenn Sie nun aus der Mißstimmung heraus, 
die die Wahlrechtsabsichten der Regierung bei Ihnen hervorgerufen haben, 
einen Kampf gegen den leitenden Staatsmann gewissermaßen gestern an- 
gekündigt und signiert haben, so lasse ich auch dahingestellt, ob auch das 
konservativ gedacht ist. Es wäre viel richtiger, wenn Sie auch mit uns 
eine maßvolle und vernünftige Reform des Wahlrechts anstrebten. Man 
hat sehr oft ausgesprochen, daß die wichtigsten und heilsamsten Maßregeln 
für ein Volk dann gewöhnlich erfolgt sind, wenn der leitende Staatsmann 
der Gegenpartei den von der gegnerischen Partei hervorgebrachten Ge- 
danken in sich selbst aufgenommen und ihn zum Siege geführt hat. Eines 
der glänzendsten Beispiele dieser Art bietet uns unsere eigene Geschichte 
in dem eisernen Kanzler, dem Fürsten Bismarck. (Sehr richtig! links.) 
Er hat aus dem Liberalismus heraus den Gedanken der deutschen Einig- 
keit übernommen: Er, der siegreiche Führer der konservativen Partei, hat 
ihn mit Hilfe der Krone verwirklicht zum Heile des gesamten Vaterlandes. 
(Lebhafte Zustimmung links.) In England haben auch konservative Staats- 
männer übernommen, zur richtigen Zeit dem liberalen Gedanken auf Er- 
weiterung des Wahlrechis zur Durchführung zu verhelfen. Ob Sie (nach 
rechts) nun einen Staatsmann unter sich haben, der in der Lage wäre, 
dasselbe zu tun, weiß ich nicht. (Heiterkeit.) Die Rede des Abgeordneten. 
v. Richthofen hat mir jedenfalls nicht den Eindruck gemacht, als ob er 
gerade der Staatsmann wäre. (Stürmische Heiterkeit und sehr gut! links.) 
Aber wenn Sie nicht auf diesem Wege maßvoller Reform gehen, werden 
Sie einstmals vor der Geschichte nicht als eine große, weitausschauende 
Partei dastehen, sondern als eine kurzsichtige und selbstsüchtige Partei, die 
es verhindert hat, zur rechten Zeit dem Vaterlande einen großen Dienst
	        
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