Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Des Denisqe Reit und seine einzelnen Glieder. (Januar 29.) 47 
zu Unrecht erhoben worden seien und den Kaiser für Handlungen verant- 
wortlich machten, die er nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Veran- 
lassung der berufenen Ratgeber ausgeführt hätte. Den „Geheimrat“ im 
Auswärtigen Amt betrachtet Herr Stein als die Quelle alles Uebels. Wahres 
und Falsches sind in dem Buch gemischt. In der „Täglichen Rundschau“" 
macht Herr Stein bekannt, daß ein hochgestellter Herr dem Kaiser über 
das von ihm zu veröffentlichende Buch Vortrag gehalten habe. „Der 
Kaiser habe gesagt, auf die Verteidigung seiner Person komme es nicht 
an; das Volk werde einst schon von selbst von den Uebertreibungen der 
Kritik zurückkommen. Er habe weiter gesagt, mehr als auf seine Person 
komme es auf den ruhigen Fortgang der deutschen Politik an, auf die 
Durchbringung der Finanzreform durch den Reichskanzler und andere Auf- 
aben. Der Kaiser erkenne meine gute Absicht an und wisse auch, daß 
ich bisher mich stets bemüht hätte, der guten nationalen Sache Vorspann- 
dienste zu leisten, aber wenn wirklich das Buch beunruhigend wirke, so 
lasse er mir sagen: Es sei sein Wunsch, daß es zurückgestellt würde."“ 
29. Januar. Unter dem Vorsitz des Botschafters v. Holleben 
wird in Berlin eine „Zentralstelle für Erforschung des 
Deutschtums im Ausland“ gegründet. 
Sie sucht eine vertiefte, wissenschaftliche Erkenntnis von dem Be- 
stande und der Eigenart des deutschen Volkstums im Auslande zu gewinnen. 
29. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Die 
zweite Beratung zur Besoldungsvorlage wird abgeschlossen. Die 
Kompromißbeschlüsse aller Parteien werden den Anträgen der Kom- 
mission und der Regierungsvorlage eingefügt. 
29. Januar. (Württemberg.) Die Zweite Kammer nimmt 
nach Ablehnung eines konservativen Gegenantrags einen Antrag 
auf Errichtung einer für beide Konfessionen gemeinsamen Ober- 
schulbehörde mit 48 gegen 34 Stimmen an. 
29. Januar. (Reichstag.) Die „schwarzen Listen“ bilden 
den Gegenstand folgender Interpellation des Zentrums: 
Ist dem Reichskanzler bekannt, daß durch Schwarze Listen und 
Vereinbarungen ähnlicher Art Arbeiter und Privatangestellte in ihrem 
Fortkommen gehindert werden? Was gedenkt der Reichskanzler zu tun, 
um solche die Freiheit des Arbeitsvertrags oder die gesetzlich garantierte 
Koalitionsfreiheit hindernde Maßnahmen zu unterdrücken? 
In der Begründung der Interpellation dankt der Abg. Giesberts 
(Ztr.) dem Staatssekretär dafür, daß er ihn und die Abgeordneten Behrens, 
Sachse und Hue als Vertreter der Organisationen zu einer Konferenz zu- 
sammenberufen habe, um die der Interpellation zugrunde liegenden Klagen 
zu besprechen. Der Hauptmißstand sei, daß die Zechenherrn von Verhand- 
lungen mit den Arbeitern nichts wissen wollen. Es sei eine Ueberspan- 
nung des Autoritätsprinzips, wenn die Arbeitgeber Tausenden von Ar- 
beitern die Arbeitsmöglichkeit nehmen, indem sie sie heimlich auf die 
schwarzen Listen setzen. 
Der Staatssekretär von Bethmann Hollweg erklärt die 
Ursachen der Mißstände, die in der Interpellation berührt werden. Gerade 
im westlichen Industriegebiet ist die Arbeiterschaft keine homogene. Es 
 
	        
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