Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

48 Das VBesische Reich und seine einfelnen Glieder. (Januar 29.) 
gibt dort viele fremdsprachige Elemente, die im jugendlichen Alter ohne 
ökonomischen Halt an andern in das Gebiet kommen und die wegen der 
Verschiedenheit der Sprache, der Sitten und des Bildungszustandes schwer 
festwurzeln. Diese liefern ein zahlreiches Kontingent der unsteten Arbeiter. 
Als eine weitere allgemeine Ursache für den Kontraktbruch wird angegeben 
die Art und Weise, wie das Gedinge gemacht wird. Man klagt darüber, 
daß die Interessen der Arbeiter nicht genügend gewahrt werden, daß das 
Gedinge verspätet gemacht wird usw., so daß der Arbeiter vielfach ge- 
zwungen ist, bei einem schlechtern Gedinge eine Zeitlang auszuhalten. Mir 
ist es bisher nicht gelungen, diese Fragen aufzuklären. Ich bin indessen 
mit der preußischen Bergverwaltung ins Benehmen getreten und behalte 
mir vor, bei anderer Gelegenheit darauf zurückzukommen. 
Ein sehr wesentlicher Grund für Kontraktbrüche ist auch das ganz 
ungewöhnlich gespannte Verhältnis, das namentlich in letzter Zeit in dem 
westlichen Industriegebiet zwischen Unternehmern und Arbeiterschaft besteht. 
Ich kann hier nicht kritisch darauf eingehen, wer die Schuld daran trägt. 
Betonen möchte ich nur, daß in der Arbeiterbewegung den Arbeitern die 
Möglichkeit des jederzeitigen Stellenwechsels, die Freizügigkeit immer als 
besonders hohbes Gut geschildert wird. Gleichzeitig haben auch viele Führer 
der Arbeiterbewegung alle von Unternehmern getroffenen Einrichtungen, 
die bezwecken, sich einen festen Stamm von Arbeitern zu sichern, aufs 
heftigste bekämpft. Wenn tendenziös der Haß gegen alles, was Unter- 
nehmer heißt, genährt wird, dann kann man sich nicht wundern, wenn 
die Sucht, heute hier, morgen dort zu arbeiten, mehr zunimmt. (Sehr 
richtig! rechts.) Dadurch wird natürlich auch der Kontraktbruch gefördert. 
So ist denn in den westlichen Industriebezirken eine ungeheure Fluktuation. 
der Arbeiterschaft eingetreten, die sich nicht auf die Bergwerke beschränkt. 
Die wirtschaftlichen Schäden, die ein solches unstetes Verhältnis für die 
Unternehmungen und für die Sicherheit mit sich bringt, sind ja bekannt. 
Da ist es nur allzu begreiflich, wenn sich das Unternehmertum gegen diese 
Fluktuation der Arbeiterschaft zusammenschließt und wenn es schließlich zu 
dem System der Aussperrungen gekommen ist. Druck erzeugt eben Gegen- 
druck. So ist man bei diesen Aussperrungen aber nicht bloß bei der Be- 
kämpfung des Kontraktbruches geblieben, man hat auch Arbeiter auf die 
Listen gesetzt, die agitatorisch hetzten. Man ist zum Kampf gegen die Zu- 
gehörigkeit zu bestimmten Organisationen gekommen. 
Der Weg der Spezialgesetzgebung sei aber nicht gangbar. Das 
Hauptübel bestehe darin, daß meist untergeordnete Beamte, ohne daß eine 
unparteiische Prüfung stattfindet, die Aufnahme in die Listen veranlassen, 
und daß die Heimlichkeit des Verfahrens dem Arbeiter die Möglichkeit 
nimmt, gegen Mißgriffe zu protestieren. Der Staatssekretär teilt mit, daß 
er mit dem Zechenverband in Essen verhandelt habe, und daß dieser ver- 
sprochen habe, es solle in Zukunft ganz allgemein jedem Arbeiter mitgeteilt 
werden, warum und wann er auf die schwarze Liste gesetzt worden ist. Er 
würde es für einen großen Fortschritt halten und für ein praktisches Er- 
gebnis dieser Beratungen, wenn dieses Verfahren überall ausgeübt würde. 
29. Januar. (Zur Reichsfinanzreform.) Bei der Be- 
ratung des Gesetzentwurfs über das Erbrecht des Staates kommt 
es in der Finanzkommission bei dem wichtigen § 9 durch Stimmen- 
gleichheit (14 gegen 14) zur Ablehnung. 
29. Januar. (Das Weingesetz.) Die Weinkommission des 
Reichstags nimmt den § 6 über die geographischen Bezeichnungen,
	        
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