Aebersit über die politische Entwichelung des Lahres 1909. 699
struktion wurde dann aber durch eine Umgestaltung der Geschäfts-
ordnung unmöglich gemacht. Wegen der im Sprachenkampf ver-
lorenen Zeit kam es aber nicht zur Durchberatung des Etats; ein
Provisorium mußte dem Mangel eines Budgets abhelfen. Die von
der Regierung gewünschten neuen Steuern erstrecken sich auch auf
Erhöhungen der Branntweinsteuer, der progressiven Einkommen-
steuer und der Erbschafts- und Schenkungssteuer, von der auch die
Deszendenten und Ehegatten betroffen werden.
Den Ausschreitungen gegen die öffentliche Ordnung setzte das
Ministerium Bienerth seit dem Ende der serbisch-österreichischen
Verwickelung mehr Energie entgegen als früher. Die üblichen
Störungen des Sonntagsbummels der deutschen Studenten in Prag
hörten auf, nachdem die Gendarmerie am 28. März mit gefälltem
Bayonett gegen die Tschechen vorging, die bei dieser Ruhestörung
Hochrufe auf Serbien ausbrachten. Am 7. April wurde die tschechisch-
national-soziale Organisation Böhmens aufgelöst. Den irreden-
tischen Italienern schadete der Sturm auf das Bahnhofsgebäude in
Trient, um die Teilnehmer an der Jahrhundertfeier der Tiroler an
der Abreise zu verhindern, und die Entdeckung hochverräterischer
Pläne, die zufällig aus gestohlenen Schriftstücken nachgewiesen werden
konnten. Kroatien und Slovenien waren während der Balkankrifis
der Schauplatz einer hochverräterischen großserbischen Agitation ge-
wesen, die aber durch eine Gegenorganisation leidenschaftlich bekämpft
wurde. Der von der Regierung gegen 53 Angeklagte, meist Kauf-
leute und Lehrer, angestrengte Prozeß währte in der Hauptverhand-
lung vom 3. März bis 5. Oktober und endete mit der Verurteilung
von 31 Serben. Er hatte noch ein Nachspiel in der Beleidigungs-
klage der Leiter der serbisch-kroatischen parlamentarischen Koalition
gegen Dr. Friedjung, der beweisen wollte, daß sie Geld von der
serbischen Regierung erhalten hatten. Die Schriftstücke, auf die
er sich stützte, erwiesen sich aber zum Teil als Fälschungen. Die
rumänische Geistlichkeit verweigerte dem Erlaß des ungarischen
Kultusministers, den Religionsunterricht an den rumänischen Schulen
in ungarischer Sprache zu erteilen, den Gehorsam. Sie konnte das
um so zuversichtlicher tun, da das Ministerium Wekerle bereits
sechs Wochen vorher seine Entlaffung erbeten hatte und nur noch