704 Aebersicht ũber die politische Entwichelung des Jahres 1909.
dige Uebergewicht der Konservativen beseitigt worden wäre. Das
zweite Auskunftsmittel, das vorgeschlagen wurde, war das Re-
ferendum über alle Gesetzesvorlagen, die durch die Commons an-
genommen und von den Lords abgewiesen waren. Aber der
Premierminister Asquith wollte erst die Finanzvorlage durchbringen,
ehe er der Frage der Verfassungsänderung näher trat.
Als nun aber der Kanzler des Schatzamts Lloyd George am
29. April das Budget vorlegte, zeigte es sich, daß darin nicht nur
für das nächste Jahr Fürsorge getroffen war, sondern auch durch
ein neues System der Landtaxen, Schankstättenabgaben, Nachlaß-
steuern, Einkommensteuerveranlagung und Stempelgebühren, wie
der Minister rühmte, für die wachsenden Ausgaben künftiger sozialer
Gesetze die Mittel bereit gestellt waren. Mit der Zustimmung zu
diesem Budget war also praktisch der liberalen Regierung Voll-
macht erteilt, ihre volksbeglückenden Pläne für die Zukunft vor-
zubereiten. Die Regierung hoffte, daß die Opposition im Ober-
hause nicht wagen würde, ein so populäres Budget zu verwerfen.
Aber schon während der Debatten im Unterhause lenkte die Oppo-
sition die Aufmerksamkeit auf den sozialistischen Grundzug der durch
die Budgetvorlage versprochenen Reformen. Die Interessen des
Grundbesitzes, des Bankgewerbes, der Brennereien und Brauereien
und der Schankwirte wurden zum Kampf aufgerufen. Der liberale
Lord Roseberry sah in diesem Budget einen Akt des Parteidespotis-
mus zur Durchführung einer politischen und sozialen Revolution.
Die Tarifreformer empfahlen die Beseitigung der Finanznot durch
Schutzzölle, die zugleich handelspolitische Waffen darböten. Zur
Vorbereitung der Wahlkampagne ließen sich die Freihändler der
Oppositionspartei bewegen, ihren Widerspruch gegen Schutzzölle
fallen zu lassen. Um die Regierung zur Auflösung des Parlaments
und zu Neuwahlen zu nötigen, formulierte Lord Lansdowne seinen
Ablehnungsantrag in Bezug auf das Budget dahin, daß das Ober-
haus nicht berechtigt sei, seine Zustimmung zu diesem Gesetze zu
geben, bis es dem Urteil des Landes unterbreitet worden sei. Mit
350 Stimmen gegen 75 trat das Oberhaus am 30. November
seinem Antrage bei. Die darin liegende Verwerfung des Budgets
erklärte das Unterhaus am 2. Dezember mit 349 gegen 134 Stimmen