Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

714 Nebersicht über die politische Entwichelung des Jahres 1909. 
Ausbau des Hafens Constanza als Erfolg des Jahres zu verzeich- 
nen. — Für Serbien hatte die Demütigung auf dem Felde der 
auswärtigen Politik gefährliche Rückwirkungen auf die innere Lage. 
Die Bildung eines „großen Kabinetts“, das drei ehemalige Premier- 
minister umfaßte, die gegen Oesterreich-Ungarn gerichteten Kriegs- 
rüstungen und die Erregung der außerhalb des Königreichs lebenden 
Serben halfen zur Durchführung des großserbischen Programms 
(S. 614) gar nichts, weil die Großmächte und besonders Rußland 
den Frieden erhalten wissen wollten. Dem wollte sich der Kron- 
prinz Georg in patriotischer Entrüstung nicht fügen. Der König, 
der Kronrat und die Skupschtina benutzten die populäre Empörung 
über eine tödlich verlaufene Mißhandlung seines Dieners, um die 
Thronfolgerechte auf seinen jüngeren Bruder Alexander zu über- 
tragen. Die Erbitterung über die diplomatische Niederlage ver- 
anlaßte das Ministerium, sich zu den entgegenkommenden Handels- 
vertragsvorschlägen Oesterreichs spröde zu verhalten und Spionage- 
prozesse gegen österreichische Untertanen wieder aufnehmen zu lassen. 
Ohne den zusammenhaltenden Einfluß einer nationalen Erhebung 
konnte das Koalitionsministerium die Rivalitäten zwischen den 
Ressorts nicht überwinden. Aus einer im August beginnenden Krifis 
ging im Oktober ein radikales Parteiministerium hervor. Ein An- 
trag der Nationalisten, daß König Peter, weil er „bisher noch mit 
keinem europäischen Herrscher zusammengetroffen ist“, das Land 
verlassen solle (19. Dezember), beweist, daß in der Skupschtina auch 
antimonarchische Strömungen vorhanden find. — Unter solchen be- 
denklichen Erscheinungen hatte auch Griechenland zu leiden. Sie 
verknüpften sich hier mit den Erregungen über die Nichtbenützung 
der Balkankrise zur Angliederung der Insel Kreta. Die Bildung 
eines terroristischen Offiziersbundes unter Leitung des Obersten 
Zorbas, die fluchtartigen Auslandsreisen der aus der Armee und 
Flotte ausgetretenen Prinzen und der Marineputsch des Typaldos 
waren die Auswüchse der langen Gärung. 
Den Vereinigten Staaten von Amerika war von dem 
neuen Präsidenten Taft die Reform des Zolltarifs als die drin- 
gendste Aufgabe angekündigt worden. Eine außerordentliche Sessfion 
des Kongresses brachte den vom Senat am 5. August angenom-
	        
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