Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

72 Das De#sche Reich uud seine eintelnen GSlieder. (Februar 18.) 
dies von Zeit zu Zeit gegenwärtig halten. Aber die Schwierigkeit einer 
sich in den notwendigen Grenzen haltenden Sozialpolitik und vor allem 
die Art, wie sich der scharfe Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeit- 
nehmer entwickelte, führte dahin, daß alle Wünsche der Arbeiter nur auf 
weitern Wegen an den Gesetzgeber gelangen, vielleicht in nicht zutreffender 
Darstellung an den Gesetzgeber und die öffentliche Meinung gelangen. Da 
Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht unmittelbar aufeinander einwirken, 
sind wir gezwungen, gesetzliche Bestimmungen zu treffen, während bei 
guten Beziehungen, bei dem Verständnis, das auch unsere Arbeiter haben, 
diese Dinge zwischen ihnen geregelt werden können. Zweifellos hat das 
zur Folge Gefahren nicht bloß für die Industrie, sondern auch für den 
Arbeitnehmer, so daß wir genötigt sind, zahllose Bestimmungen gesetzlich 
festzulegen, die wir heute ertragen können, die aber in einer ungünstigen 
Konjunktur zur Fessel werden können, die nicht bloß dem Unternehmer, 
sondern auch dem Arbeiter außerordentlich lästig werden kann. Das Maß 
unserer sozialpolitischen Gesetze wird zurückgehen in dem Maße, wie wir 
die Möglichkeit schaffen die fortwährenden Streitfragen zwischen Arbeit- 
gebern und Arbeitnehmern an einer andern Stelle zum Austrag bringen 
zu lassen, je mehr statt der Stimmung des Kampfes, eine Stimmung nicht 
des Friedens, aber das Gefühl der Notwendigkeit einer Einigung der 
beiderseitigen Interessen Platz greift. Wir erlassen diese zahllosen, unter 
Umständen allerdings sehr eingehenden Bestimmungen auf einzelnen Ge- 
bieten keineswegs frei, oft zögernd. Genau so ist es mit den Polizei- 
verordnungen, für sie gibt es ähnliche Gründe wie für die erdrückende Fülle 
dieser sozialpolitischen Gesetze. Auch hier drängen die Arbeitgeber und die 
Arbeitnehmer und in der Besorgnis, die eine oder die andere Seite in 
ihren Interessen etwas zu beeinträchtigen, erläßt die Regierung fortwährend 
neue polizeiliche Vorschriften. Ich erinnere nur an die vielumstrittenen 
Bestimmungen der Berggesetznovelle. Ich würde es nach meinem perfön- 
lichen Standpunkt für das Zweckmäßigste halten, wenn es ohne die Ver- 
klausulierungen gegangen wäre, wenn wir die Arbeiter nicht weiter ge- 
schützt hätten, und wenn wir den Arbeitgebern überlassen hätten, auf Grund 
gewisser allgemeiner Grundzüge etwas Praktisches zu schaffen. Aber unter 
diesen gegebenen Verhältnissen ist es nicht möglich gewesen. Auf der einen 
Seite schreit der Arbeiter um Schutzmaßregeln, auf der andern Seite 
fürchtet der Arbeitgeber alle möglichen politischen Ausschreitungen. Die 
Folgen sind natürlich ein halbes Dutzend Paragraphen mehr als not- 
wendig sind. 
Es ist nicht meine Absicht, Einfluß auf die wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse des Kalibergbaues zu nehmen. Ich habe mich schweren Herzens 
entschlossen zu dem Zweischächtevorschlag, weil das Vorhandensein nur eines 
Schachtes auf die Dauer nicht mehr zu verantworten war. Jetzt ist der 
Einfluß und das Interesse des Fiskus beim Zustandekommen des Kali- 
vertrages selbstverständlich nicht mehr so groß als zur Zeit, wo der Staat 
der größte Kalibesitzer war. Aber wir werden so wenig Schwierigkeiten 
wie möglich machen unter der Voraussetzung, daß der Fiskus wie bisher 
das Vorrecht hat, bezüglich des Vetos im Interesse der Landwirtschaft. 
Ich hoffe, daß es auf der Grundlage gelingen wird, das Syndikat zustande 
zu bringen, daß es jedenfalls möglich sein wird, daß die Landwirtschaft 
verhältnismäßig niedrigere Preise zu zahlen hat als das Ausland. 
Herr Schepp hat die Konkurrenzklausel besprochen und sich eingehend 
geäußert über das Koalitionsrecht der technischen Beamten und 
hat die Vorgänge bei der Entlassung einer Anzahl Arbeiter in Ober- 
schlesien geschildert. Ich habe als Chef der Bergverwaltung und der Berg-
	        
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