Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

74 Nas Betsche Reich und seine rin#elnen Glieder. (Februar 19.—22.) 
19./20. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Das 
Pfarrbesoldungsgesetz wird endgültig angenommen. Die Ge- 
sellschaftssteuervorlage wird abgelehnt und dafür der Grundsatz 
progressiver Steuerzuschläge für Gesellschaften mit beschränkter Haf- 
tung angenommen. 
22. Februar. Deutsche Warnung an Serbien. 
Die „Süddeutsche Reichskorrespondenz“ schreibt: Die Dinge im 
Orient werden gegenwärtig durch die Stellung der Mächte dem öster- 
reichisch-serbischen Zwist gegenüber beherrscht. Die Frage ist, ob und wie 
dritte Staaten tätig werden sollen, um einen offenen Bruch zwischen Wien 
und Belgrad zu verhüten. Anregungen zu einer solchen Tätigkeit liegen 
vor. Ein Erfolg kann diesen nur dann beschieden sein, wenn von vorn- 
herein auf die Erhaltung des Einvernehmens unter den Großmächten 
Bedacht genommen und Europa nicht in zwei Lager, ein proserbisches und 
ein antiserbisches, gespalten wird. Ueber den Hauptpunkt besteht erfreu- 
licherweise kein Streit. Die Postulate der großserbischen Idee, Gebiets- 
verlängerung nach der Adria hin, und europäische Autonomie für Bosnien 
und die Herzegowina sind ohne Krieg unerfüllbar. Das braucht man den 
serbischen Staatsmännern nicht breit auseinander zu setzen; sie wissen es 
recht gut. Vielleicht aber wäre es ihnen selbst nicht unerwünscht, sich 
gegenüber den Stürmern und Drängern im eigenen Lande auf eine von 
möglichst vielen Mächten vertretene Erklärung zu stützen, die ohne Schul- 
meisterei und ohne Drohung im wohlverstandenen Interesse Serbiens gegen 
unklare Stimmungen die Vernunft der Dinge zur Geltung brächte. Es 
läßt sich nicht voraussagen, ob Europa zu einer solchen Kundgebung ge- 
langen wird. Sie würde aber wohl der serbischen Regierung vor ihrem 
Lande den Verzicht auf eine mit friedlichen Mitteln unhaltbare Position 
erleichtern können, vorbehaltlich serbisch-Bsterreichischer Unterhandlungen 
über wirtschaftliche Angelegenheiten. 
Dazu bringt ein Berliner Telegramm der „Kölnischen Zeitung“ 
eine Ergänzung über Vermittlungsvorschläge: „Die gesamte Presse beschäf- 
tigt sich eingehend mit den Verhandlungen, die ein gemeinsames Vorgehen 
Frankreichs, Englands, Italiens und Deutschlands zum Zweck hatten. In 
französischen Blättern wird dabei der Wunsch ausgesprochen, daß Deutsch- 
land die Rolle des Friedensvermittlers übernehmen möge. So verlockend 
eine solche Aufgabe für einen friedliebenden Staat auch sein mag, so ist 
es im vorliegenden Falle Deutschland doch unmöglich, sich an einem Vor- 
gehen zu beteiligen, das an der unrichtigen Stelle, nämlich in Wien, ein- 
setzen wollte. Bei der geduldigen Haltung Oesterreich-Ungarns Serbien 
gegenüber, bei den friedlichen Erklärungen, die Oesterreich-Ungarn neuer- 
dings abgegeben hat, und bei der großen Langmut, die es den serbischen 
Aufreizungen gegenüber gewährte, wären Ratschläge in Wien tatsächlich 
gegenstandslos gewesen, und es entsprach daher nur dem Erfordernis einer 
gerechten und alle Folgen im voraus abwägenden Politik, wenn Deutsch- 
land erklärt hat, daß es sich an Ratschlägen oder Vorstellungen in Wien 
nicht beteiligen werde. Dagegen hat es aber den Gedanken einer gemein- 
samen Vermittelung keineswegs zurückgewiesen, sondern im Gegenteil den- 
jenigen Weg in Vorschlag gebracht, der der nächstliegende und zweckdien- 
lichste ist, d. h. gemeinsame Vorstellungen in Belgrad, von wo allein eine 
Bedrohung des Friedens ausgeht. Solche Vorstellungen brauchten keines- 
wegs einen Serbien feindlichen Charakter zu tragen, sondern sie würden 
vielmehr nur im eigensten Interesse Serbiens unternommen werden. 
 
	        
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