Das Denisqhe Reiqh and seine einjelnen Slieder. (März 6.) 161
daß diese gesetzliche Bindung für die Regierungen noch einen so hohen
Wert hat. Wenn alle verfügbaren Mittel auf den Schiffsbau verwandt
werden müssen, so kann für die Küstenverteidigung nichts geschehen. Ich
verstehe deshalb sehr wohl, daß andere Mächte wohl ein Flottenprogramm
aben, aber von einem Flottengesetz wie dem unfrigen nichts wissen wollen.
talien ist sehr schnell davon zurückgekommen. Ich habe auch ferner volles.
Verständnis dafür, daß der Reichsschatzsekretär die größten Bedenken hatte,
wie er in den nächsten Jahren den Etat balancieren kann. Nach meiner
festen Ueberzeugung wird das ohne neue Steuern gar nicht möglich sein.
Der Oberwerftdirektor in Kiel hat, wie es heißt auf Veranlassung des
Staatssekretärs, eine Untersuchung eingeleitet, welche seiner höheren Be-
amten Beziehungen zu Abgeordneten hätten. Das ist geradezu unerhört!
Wenn die bürgerlichen Parteien den Wünschen und Anregungen der Be-
amten ihr Ohr verschließen würden, so würde sich die Sozialdemokratie
jederzeit ihrer annehmen. Wir müssen verlangen, daß der Beamte außer-
halb des Dienstes die vollen staatsbürgerlichen Rechte hat, auch im Inter-
esse der Reichsmarineverwaltung selbst wäre ein derartiges Verfahren besser
unterblieben. Die Arbeitsfreudigkeit der Beamten wird dadurch nicht
ehoben.
geb Abg. Dr. Südekum (Sd.): Im vorigen Jahre wurde der Marine-
etat in zweiter Lesung fast ohne jede Debatte angenommen. Das ist ein
recht unangenehmer Zwischenfall gewesen, denn der Marineetat ist doch
der eigentlich politische Etat und muß um so gründlicher erörtert werden.
In diesem Jahre war die Spannung, mit der man die Plenarberatung
erwartete, um so größer, als die Prozesse starke Mißstimmung draußen im
Volke hervorgerufen hatten. Die Marine ist schuld an dem Finanzjammer
des Reiches, das steht fest. Beim Regierungsantritt des jetzigen Kaisers
betrugen die Marineausgaben 51 Millionen, 1911 werden sie 462 Millionen
betragen. In 20 Jahren, von 1889, sind fortdauernd für die Marine
3199 Millionen Mark verausgabt worden; die Gesamtausgaben belaufen
sich auf über vier Milliarden, ohne die Verzinsung der Schulden und
ohne die Pensionsbeträge. Diese Ausgaben und die damit verknüpfte
Schuldenwirtschaft bringen unsere Sozialpolitik geradezu zum Verdorren.
Die Flottenpolitik war aber auch nicht die Wirkung, sondern die Ursache
der scharfen Spannung zwischen den Nationen. Jedes Ding hat seine
Zeit, auch der Imperialismus, auch die dem Volke zum Unsegen gereichende
Flottenpolitik, die ihren Höhepunkt anscheinend doch jetzt überschritten hat.
Die Flotte ist durchaus nicht ein Moment des Friedens, wenigstens nicht
nach außen hin, sie hat ein Moment der Beunruhigung in die Politik
gebracht. Man braucht ja bloß auf England zu verweisen. Weder unser
Handel, noch das Minimum von deutschen Kolonien rechtfertigt das Besitz-
tum einer so großen Flotte; England kann nur glauben, diese deutsche
Flotte richte sich gegen England. So liefern wir der Reaktion in England
den Vorwand, immer weiter auf Vermehrung der Flottenrüstungen zu
drängen, was natürlich wieder auf uns zurückwirkt. Die Frage der Landes-
verteidigung Deutschlands ist keine Frage der Flottenpolitik, denn Deutsch-
land ist eine Landmacht, die Entscheidung in einem zukünftigen Kriege
fällt zu Lande, nicht zu Wasser. Die Niederlage Rußlands gegen Japan
lag begründet in der Minderwertigkeit des Heeres, und die hatte ihre
Ursache in dem autokratischen Zarenregiment, und wenn in Preußen die
Kurzsichtigkeit und brutale Regierungspolitik aufrechterhalten wird, so
wird es auch nicht mehr gelingen, die Preußen für einen Krieg zu ent-
slammen. (Der Präsident ersucht den Redner, zur Sache zu reden.) Es
gibt keinen anderen Ausweg, als die deutsche Marine wieder zum Range
Europäischer Geschichtskalender. LI. 11