Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

164 Jaos Nenische Reich und seine einjelnen Slieder. (Maͤrz 7.) 
Diensthaltung der Schiffe wieder getrennt nach den einzelnen Schiffen auf- 
zuführen. Das Verlangen einer besonderen Havarieordnung habe bei der 
Marineverwaltung lebhaften Widerspruch gefunden. Die strengen Vor- 
schriften über die Straßendisziplin sind übertrieben. Die Deckoffiziere sollten, 
wenn sie auf Urlaub gehen, von den strengen Meldevorschriften befreit 
werden. Die Marineoffiziere beziehen 7,8 Millionen Mark Gehalt, die 
Zulagen betragen nicht weniger als 4,3 Millionen Mark. 
Staatssekretär v. Tirpitz: Tafelgelder sind keine Stellenzulagen. 
Bei den wirklichen Stellenzulagen liegt die Sache so, daß 80 Prozent auf 
das Maschinen-Unterpersonal fallen, 6 Prozent auf das übrige Unter- 
personal. Für die Offiziere und höheren Beamten bleiben somit von den 
gesamten Stellenzulagen des Etats 14 Prozent, von diesen kommen 3 Pro- 
zent auf die Seeoffiziere, 7 Prozent auf die Ingenieure, 3 Prozent auf 
die Zahlmeister, 1 Prozent auf die Aerzte. Die Offiziere sind also außer- 
ordentlich gering bedacht. 
Abg. Frhr. v. Gamp (Rp.)e Herr Leonhart sagte, ohne neue Steuern sei 
eine Balancierung des Etats in den nächsten Jahren nicht möglich. Da- 
gegen muß ich entschieden protestieren. Wir brauchen keine neuen Steuern, 
wir wollen sie auch nicht haben. Deutschland nimmt im auswärtigen 
Handel die zweite Stelle ein, und es erscheint nicht unbillig, wenn es dann 
auch mit seiner Flotte die dritte oder vierte Stelle einnimt. Die Auf- 
fassung, daß die Engländer glauben könnten, unsere Flotte richte sich gegen 
England, ist längst widerlegt. 
Staatssekretär v. Tirpitz: In der Frage der Küstenverteidigung 
haben wir uns eine gewisse Reserve auferlegt, weil wir der Ansicht sind, 
daß die Küstenverteidigung an sich nicht dazu beiträgt, den Frieden zu er- 
halten. Die Erhaltung des Friedens soll doch aber der Hauptzweck der 
Flotte sein. Vernachlässigt haben wir die Küstenverteidigung aber nicht, 
wie einzelne Marineschriftsteller behaupten. In der ganzen Periode von 
Stosch bis Hollmann, also von 73 bis 97, haben wir für die Küsten- 
verteidigung 22 Millionen aufgewendet, in meiner Amtszeit aber 29. Die 
beantragte Wiederherstellung des Titels Verpflegungsgelder begrüße ich 
lebhaft; solange es eine Marine gegeben hat, besteht das System der Tafel- 
gelder, der freien Verpflegung. Für Kauffahrteischiffe ist die freie Ver- 
pflegung sogar gesetzlich vorgeschrieben. Der einzelne hat auf die Messe 
gar keinen Einfluß. Die Einrichtungen der Passagierschiffe haben wir frei- 
lich nicht, denn diese sind für Menschen gemacht, unsere Schiffe aber zu- 
nächst für die Waffen. Die Lebenshaltung ist bei uns verhältnismäßig 
teurer. Sehr viel Geschirr wird verbraucht. Die Herren müssen auch 
repräsentieren, wenn sie im Auslande von den Deutschen aufgesucht werden. 
Abg. Bassermann (Nl.): Die Forderung, über den Rahmen des 
Flottengesetzes hinaus Schiffe zu bauen, haben sowohl der Flottenverein 
als auch ein Teil meiner Freunde fallen gelassen, da man auf die finanzielle 
Lage des Reiches Rücksicht genommen hat. In den „Soz. Monatsh.“ hat 
ein Herr Leuthner geschrieben, der Abrüstungsvertrag bedeute nicht anderes 
als die Aufhebung des Selbstbestimmungsrechts der Nation. Das sind 
Worte aus sozialdemokratischem Munde, wie wir sie nicht besser vorbringen 
könnten (Abg. Dr. Südekum: Der Mann steht isoliert!) Wenn er isoliert 
stünde, so könnte ihn doch eine so gut redigierte Zeitschrift, wie die „Soz. 
Monatsh.“, nicht zu Worte kommen lassen. Wir wünschen gute Beziehungen 
mit England, aber nicht auf Kosten des Selbstbestimmungsrechtes über die 
Größe unserer Flotte. 
Abg. Ledebour (Sd.): Die Rede des Herrn v. Bethmann enthielt 
nur Selbstverständlichkeiten. Man darf die Herren nicht beurteilen nach
	        
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