Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Das Penilsche Reit nnd seine einjelnen Glieder. (März 7.) 165 
ihren Reden, sondern nach ihren Taten. Der Gedanke der Abrüstung 
scheint ja jetzt auch in den bürgerlichen Parteien Freunde gefunden zu 
haben. Wir kämpfen gegen unsere Chauvinisten, genau wie unsere eng- 
lischen Freunde gegen die dortigen Chauvinisten kämpfen. Herrn Basser- 
mann, der sich auf Leuthner berufen hat, verweise ich auf den früheren. 
Marineminister v. Hollmann, der bei Ihnen jedenfalls mehr Ansehen ge- 
nießt als Leuthner bei uns. Herr v. Hollmann hat erklärt, daß die deut- 
schen Küsten sich selbst verteidigen. Unsere Flottenpolitik muß im Aus- 
lande Mißtrauen erregen, da wir lediglich zur Verteidigung unserer Küsten 
keine so starke Flotte gebrauchen. Im vorigen Jahr hatten der Reichs- 
kanzler und der Staatssekretär bestritten, daß jemals England mit Ab- 
rüstungsanregungen an Deutschland herangetreten sei. In Wirklichkeit hat 
England wiederholt in formloser Weise solche Anregungen gegeben. Was 
für einen Eindruck muß es in England machen, wenn seine eigene Re- 
gierung so Lügen gestraft wird? Man glaubt eben den leitenden Männern 
bei uns gar nichts mehr. Die Regierung sieht im Reichstag, dem sie mit 
Hinterhaltigkeit entgegentritt, genau so eine feindliche Macht wie Herr 
v. Jagow in der Berliner Bevölkerung. Diese Regierungsmethode dis- 
kreditiert im Ausland das Ansehen unseres Vaterlandes. (Unruhe r. 
Vizepräsident Erbprinz zu Hohenlohe: Das dürfen Sie von 
unserer Regierung nicht sagen. 
Abg. Ledebour (Sd.): Ich will nachweisen, daß durch unsere Re- 
gierungsmethode das Ansehen Deutschlands im Auslande geschädigt wird. 
Durch den Reichskanzler ist die Frage der auswärtigen Politik in diese 
Debatte hineingebracht worden. Wir wollen diese Regierung beseitigen, 
die nicht fähig ist, das Ansehen Deutschlands im Ausland zu wahren. 
Staatssekretär v. Tirpitz: Die Tatsachen beweisen ja, daß von 
einer Beschleunigung in unserem Programm absolut nicht die Rede ist, 
sondern daß das Flottenprogramm erst ausgeführt sein wird, wie es von 
vornherein vorgesehen ist. Der positive Beweis liegt vor, daß wir nicht 
um ein Jota schneller vorwärtsgegangen sind. Hiernach ist der erhobene 
Vorwurf vollständig zurückgewiesen. Der Abg. Ledebour hat ferner dem 
Fürsten Bülow und mir Hinterhaltigkeit vorgeworfen in Bezug auf unsere 
Ausführungen, die wir bezüglich einer etwaigen Vereinbarung mit Eng- 
land über die Flottenrüstungen gemacht haben. Ich muß diese Vorwürfe 
auf das nachdrücklichste zurückweisen. Ich kann jedes Wort aufrechterhalten, 
das ich in dieser Angelegenheit gesagt habe. Ich habe hier das Protokoll 
der Budgetkommission, nach welchem der Staatssekretär des Auswärtigen 
Amts folgende Erklärung namens des Reichskanzlers abgegeben hat: „Die 
englische Regierung hat zwar ihre Bereitwilligkeit bei der deutsch-englischen 
Verständigung über Umfang und Kosten der Flottenrüstungen in allgemeiner 
Weise zu erkennen gegeben, sie hat aber keinen dahingehenden formellen 
Antrag gestellt. In den unverbindlichen Gesprächen, die über diese Frage 
zwischen maßgebenden deutschen und englischen Persönlichkeiten stattgefunden 
haben, ist niemals ein englischer Vorschlag hervorgetreten, der nach unserer 
Auffassung als Basis für amtliche Verhandlungen hätte dienen können. 
Im Verkehr zwischen befreundeten Regierungen pflegt es vermieden zu 
werden, formell Anträge zu stellen, deren Berücksichtigung zweifelhaft er- 
scheint. Die englische Regierung hat es aus diesem Grunde wohl ver- 
mieden, einen formellen Antrag an uns zu richten, und wir haben daher 
keine Stellung zu einem Antrage zu nehmen gehabt. Die Gründe für 
unsere abwartende Haltung gegenüber dem Gedanken einer allgemeinen 
Einschränkung der Rüstung zur See sind am 10. Dezember v. J. vom 
Reichskanzler im Reichstage dargelegt worden. Sie gelten selbstverständlich
	        
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