172 J%os Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 9.)
9. März. (Sachsen.) Zweite Kammer. Bei der Besprechung
einer Petition erwehrte sich der Staatsminister Dr. v. Rüger wieder-
holter Zwischenrufe durch die Bemerkung: Ich bitte mir derartige
Ungezogenheiten zu ersparen.
Nachdem sich die Erregung hierüber gelegt und der Minister seine
Ausführungen beendet hatte, erklärte der Präsident, er besitze leider keine
Handhabe, um gegen Aeußerungen eines Regierungsvertreters, wie sie so-
eben gefallen seien, vorzugehen. Er bedauere diese Aeußerungen zwar,
müsse aber die Würde des Hauses wahren und könne den Abgeordneten
solche Zwischenrufe, wie sie soeben laut wurden, nicht gestatten.
9. März. (Reichstag.) Etat für Kiautschou und das ostafia-
tische Marinedetachement.
Staatssekretär v. Tirpitz: Unser Hafen in Tsingtau ist der beste
Hafen von China, der für 28 Millionen gebaut wurde. Der Baumeister
hat damit eine Leistung vollbracht, die in der ganzen Welt anerkannt
wird. Der Reichszuschuß ist von Jahr zu Jahr heruntergegangen, denn
wir haben — nehmen Sie mir das nicht übel — das dringende Be-
streben, vom Reichstag loszukommen. Der Zuschuß betrug 1906 noch
13 Millionen, er ist Jahr für Jahr um eine Million bis auf 7,8 herab-
gegangen, weil wir möglichste Sparsamkeit geübt haben. Der Justizpflege
haben wir uns besonders eifrig angenommen. Die Chinesen haben großes
Vertrauen zu unserer Justizpflege. Wir werden fortfahren, die Entwicklung
unserer kolonialen Rechtspflege nach Kräften zu fördern. Auf die Frage
des Boykotts will ich hier nicht weiter eingehen. Die Industrie hat den
lebhaften Wunsch, daß eine Mustersammlung in Tsingtau veranstaltet wird.
Das ist ein sehr vernünftiger Gedanke, den wir unterstützen. Die Förde-
rung der Missionsschulen erscheint der Marineverwaltung außerordentlich
wünschenswert. Wir werden der Bürgerschaft in Tsingtau in Bezug auf
ihre Vertretung soweit entgegenkommen wie möglich, und von dem Augen-
blick, wo sie sich selbst erhalten kann, werden wir die Verwaltung gern in
ihre Hände legen. Aber wir können nicht das ganze Geld, das das Reich
gegeben hat, der Verwaltung der Bürgerschaft anvertrauen. Hoffentlich
wird sich zwischen den Auffassungen der Bürgerschaft und der Marine-
verwaltung eine mittlere Linie finden lassen, die den richtigen Weg für
die Zukunft darstellt.
Abg. Dr. Paasche (Nl.): Was wir in den 12 Jahren in Kiautschon
geschaffen haben, darauf können wir als Deutsche stolz sein. Es ist etwas
Großes geschaffen, eine neue deutsche Kultur, eine Stätte, von der deutsche
Kultur, deutsche Gesittung und Bildung Eingang in die weiten chinesischen
Gebiete finden soll. Der Redner erörtert die zu erwartenden segensreichen
Wirkungen der Hypothekarbank, unterstreicht die anerkennenden Worte
Erzbergers über unsere Rechtspflege und die Entwicklung des Kolonialrechts
und betont die Notwendigkeit eines Kolonialrechis in direktem Zusammen-
hang mit Kolonialwirtschaft und Kolonialpolitik durch ordentliche Lehrer
mit Seminaren und Bibliotheken. Aber es muß sparsamer gewirtschaftet
werden als bisher. Für Beamte geben wir beinahe eine halbe Million
an Gehältern aus, auf einem Gebiet nicht viel größer als ein preußischer
Landratskreis, mit einer chinesischen Bevölkerung, die sich selbst verwaltet.
Sollen wir die Freude an der Kolonie erhalten, dann muß endlich mit
der Fülle von Beamten aufgeräumt werden. 70 Bureaubeamte, darunter
17 Zahlmeister, für diesen kleinen landrätlichen Kreis! Die Forstwirtschaft