176 JNas Veutsche Reich und seine eintelnen Slieder. (März 11.)
einem einheitlichen Plan dirigiert werden, wenn sie äußerlich durch das
Entfalten von roten Fahnen, durch Hochs auf das allgemeine Wahlrecht
demonstrieren, so ist das kein Spazierengehen, keine Freude an dem schönen
Frühlingssonnenschein. (Oho-Rufe b. d. Sd.) So ist das eine öffentliche
Veranstaltung, ein öffentlicher Umzug. Sie können sich wohl nicht be-
schweren, wenn von der Polizeibehörde dagegen eingeschritten wird. Nun
besteht in Preußen die Anordnung, daß in solchen Fällen die Polizei durch
geeignete Maßnahmen darauf hinwirken soll, daß sich derartige Ansamm-
lungen zerstreuen, daß sie von den Verkehrszentren abgehalten und in
andere Straßenzüge abgelenkt werden. Das ist eine allgemeine Anordnung,
deren Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit niemand bestreiten wird. Nun
hat der Vorredner behauptet, und auch in der Presse ist das geschehen,
daß die Sache nicht in zweckmäßiger Weise durchgeführt wurde. Es wurde
behauptet, daß einzelne Beamte sich Uebergriffe erlaubt haben, daß sie mit
ungeeigneten Mitteln bestrebt waren, ihre Aufgaben zu erfüllen. Es wird
behauptet, daß Unschuldige, Frauen und Kinder, völlig Unbeteiligte durch
das Eingreifen der Polizei nicht nur in Schrecken gesetzt, sondern auch an
ihrer Gesundheit geschädigt wurden. Ich bin ganz außerstande, diese Einzel-
heiten zu prüfen. Die Prüfung und Beurteilung dieser Frage gehört
auch nicht zur Zuständigkeit des Reichstages. Das muß dem preußischen
Abgeordnetenhause und der preußischen Regierung überlassen werden. Wenn
aber tatsächlich unbeteiligte, unschuldige Personen, wenn Frauen und
Kinder durch das Eingreifen der Polizei in Bezug auf ihr Leben gefährdet
und hinsichtlich ihrer Gesundheit geschädigt sein sollten, so ist das sicherlich
auf das äußerste zu beklagen, nicht bloß im Interesse der betreffenden
Opfer, sondern auch im Interesse der Polizeimannschaften, die den schwersten
Dienst hatien. Man kann also wohl verstehen, daß unter dem Eindruck
dieser Anstrengungen einmal ihre Nerven versagt haben. (Zuruf l.: Sie
hätten zu Hause bleiben sollen!) Darüber haben nicht die Beamten zu
befinden, sie haben nur ihre Pflicht zu erfüllen. Daß diese Pflichterfüllung
in den letzten Monaten manchmal sehr schwer war, das werden Sie bei
objektiver Beurteilung nicht bestreiten können. Aber wenn man im An-
schluß an diese Vorgänge, von denen ich nicht weiß, ob sie sich so zu-
getragen haben, wie sie der Redner nach Pressemeldungen darstellt, sagt,
daß für diese Vorgänge verantwortlich wären der leitende Staatsmann
und die Polizei, dann möchte ich doch darauf aufmerksam machen, daß die
Verantwortung in erster Linie diejenigen trifft, die ohne die Genehmigung,
einen Aufzug zu veranstalten, ihn veranstaltet haben und dadurch der
Polizeibehörde nicht nur die Möglichkeit, sondern in gewissen Grenzen
auch die Pflicht gegeben haben, einzuschreiten.
Abg. Frhr. v. Hertling (3.): Ich halte mich streng an die Inter-
pellation. Meine politischen Freunde halten daran fest, daß die im 87
des Vereinsgesetzes vorgesehene Genehmigung zur Veranstaltung von Ver-
sammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen nur dann versagt werden
darf, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben ist, nicht aber
schon im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Ob
die öffentliche Sicherheit gefährdet ist, ist von Fall zu Fall zu entscheiden,
und wenn die Entscheidung an verschiedenen Orten verschieden ausfällt, so-
kann daraus nicht gefolgert werden, daß die Entscheidung an einem Orte
unrichtig gewesen ist. Man wird im allgemeinen auch nicht bestreiten
können, daß bei einem Massenaufgebot aus Anlaß einer die Gemüter er-
regenden politischen Frage — man sprach von 200000 Menschen — den
politisch vielleicht sehr hoch disziplinierten Elementen auch die in großen
Städten zahlreich vorhandenen bedenklichen Elemente sich leicht anschließen,