Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Hs Veeuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.) 11 
hochverdiente Geschäftsführer des Zentralverbandes Deutscher Industrieller 
auf die Wichtigkeit des inländischen Marktes hingewiesen, indem er ausführte: 
„Die Bedeutung der Landwirtschaft hat sehr erheblich zugenommen und 
erhebliche Fortschritte gemacht.“ Er führte beispielsweise die Steigerung der 
Produktion verschiedener Getreidearten an, daß unsere Landwirtschaft 1880 
14900000 Tonnen Roggen produziert hat, im Jahre 1908 10700000 Tonnen, 
daß die Produktion an Kartoffeln in dieser Periode von 19 Millionen 
Tonnen auf 46 Millionen Tonnen gestiegen sei. Dann sagt er: „Wichtig 
ist und bleibt darum der inländische Markt, und auf dem inländischen 
Markt ist die Landwirtschaft der bedeutendste Faktor. Deswegen haben 
wir auch alle Ursache, die Landwirtschaft mit zu pflegen, soweit wir dazu 
imstande sind. Wir haben ein Interesse daran, daß ebenso wie der In- 
dustrie auch der Landwirtschaft der Schutz erhalten bleibt. Wir müssen 
auf unserer Hut sein und an unseren richtigen Bundesgenossen festhalten, 
das sind die wirklichen Vertreter der Landwirtschaft.“ Ich unterschreibe 
jedes Wort. Wenn die Bundesgenossenschaft zwischen Industrie und Land- 
wirtschaft aufrecht erhalten bleibt, dann wird es für unser Vaterland nur 
von Nutzen sein. In dem auf 92 Millionen bezifferten Defizit steckt in 
erheblichem Maße der Rückschlag der ungünstigen letzten Jahre, ein Kon- 
junkturdefizit, das ich auf 50 Millionen Mark schätze. Ob es gelingen 
wird, die verbleibenden 40 Millionen durch Steigerung der Einnahmen 
wie durch Beschränkung der Ausgaben zu beseitigen, läßt sich im Augen- 
blick noch nicht übersehen. Wir dürfen aber zu keinem dauernden Defizit 
kommen. Das widerspräche den Grundsätzen unserer soliden Finanzwirtschaft. 
Gelingt es aber nicht, in Bälde das Desizit zu beseitigen, so ist unablässig 
notwendig, neue Einnahmequellen herbeizuschaffen. Wir haben mit allen 
Kräften die Ausgaben zu beschränken gesucht. Das hohe Haus hat bisher 
immer in entgegengesetzter Richtung gehandelt. Die ganzen Etatsverhand- 
lungen verlieren sich ja meist darin, daß Wünsche auf Steigerung der Aus- 
gaben vorgetragen werden. Wir würden sehr dankbar sein, nicht nur ich 
persönlich, sondern im Interesse unserer Staatsfinanzen, wenn das hohe 
Haus von dieser löblichen Gewohnheit etwas abginge. Darüber hinaus 
wollen wir auch im Etat selber eine Schutzwehr aufrichten, um einer über- 
mäßigen Inanspruchnahme der Staatseisenbabnüberschüsse durch andere 
Ressorts entgegenzutreten. Wir haben schon zu diesem Zwecke einen Aus- 
gleichsfonds geschaffen. Aber alle bisherigen Maßnahmen reichen noch nicht 
aus. Wir mücssen im Etat selber Vorsorge treffen, daß die Uberschüsse, 
die über eine gewisse Grenze hinausgehen, an den Ansgleichsfonds gehen. 
Diese Grenze haben der Minister der öffentlichen Arbeiten und ich auf 
2,10 v. H. des investierten Kapitals, das gegenwärtig 10 Milliarden be- 
trägt, festzusetzen geglaubt. Das wären 210 Millionen Mark. Das Extra- 
ordinarium der Eisenbahnverwaltung muß unerläßlich ein verhältnismäßig 
hohes sein wegen der viel zu geringen Schuldentilgung, die wir vornehmen. 
Die Eisenbahnverwaltung kann jeden Tag infolge des Fluges der Er- 
findungen und der Technik vor ungeahnte Aufgaben gestellt werden. Für 
solche Zeiten müssen wir Vorsorge treffen. Wir haben uns viel zu sehr in 
unserem ganzen staatlichen und wirtschaftlichen Leben an den Gedanken 
gewöhnt, daß die Sonne uns ewig lächele, und daß uns auch weiter eine 
ebenso glänzende wirtschaftliche Entwicklung beschieden sei., wie in den letzten 
Jahrzehnten. Wir wollen das hoffen. Aber wie, wenn dunkle Wolken am 
Himmel aufziehen und schwere wirtschaftliche Krisen kommen? Daun möchte 
ich einmal wissen, wie es mit den Eisenbahnen bestellt sein soll! Darum 
müssen wir in guten Zeiten Vorsorge treffen. Ich schlage vor, diesen Ver- 
such mit der Festlegung der Einnahmen aus der Eisenbahnverwaltung zu-
	        
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