Das NBeutsche Reich und seine eintelnen Glieder. (Januar 11.) 15
Staate die Verfassung zu oktroyieren? Damit würde das Reich in den
einzelnen Staaten die Befugnis erhalten, das Maß der Rechte, das den
Volksvertretungen und den Souveränen zusteht, nach eigenem Ermessen zu
verteilen. Das wäre eine Konstruktion, die tatsächlich unvereinbar ist mit
dem föderativen Charakter der Bundesstaaten. Nun hat man von der
letzten Möglichkeit gesprochen und gemeint: „Wenn ihr Bedenken tragt, eine
derartige Aenderung der Verfassung ganz allgemein eintreten zu lassen, so
geht doch den oft betretenen Weg, erlaßt ein Gesetz für Mecklenburg in der
durch Art. 78 vorgeschriebenen Form.“ Würde ein Spezialgesetz für Mecklen-
burg geschaffen, so wäre das ein Ausnahmegesetz gegen einen einzelnen
Bundesstaat, und daß gegen ein derartiges Ausnahmegesetz die bereits generell
erhobenen Bedenken noch stärker ins Gewicht fallen würden, liegt auf der
Hand. Sprechen so wichtige politische Bedenken gegen ein Eingreifen des
Reiches, so kann es unerörtert bleiben, in welcher Weise formell den Wünschen
der Herren von der Linken entsprochen werden kann.
Abg. Gröber (3.): Es ist nicht meine Aufgabe, die Erklärung der
mecklenburgischen Regierung, die sie den Ständen gegenüber abgegeben hat,
in Einklang zu bringen mit der heutigen Erklärung des mecklenburgischen
Regierungsvertreters. Die heute gehörte Erklärung war ja nicht besonders
klar. Es scheint ja fast, als habe die mecklenburgische Regierung doch noch
Hoffnung, zu einer Verständigung zu kommen. Ich möchte ebenfalls den
Wunsch aussprechen, daß endlich einmal die mecklenburgische Frage ver-
schwindet und mit der alten Ständeverfassung in Mecklenburg aufgeräumt
würde. Ein Eingreifen des Reiches auf Grund der Reichsverfassung halten
wir nicht für angängig. Wenn wir gegen Mecklenburg vorgehen wollten,
dann würden unabsehbare Konsequenzen daraus folgen. Wir kommen dann
auf die schiefe Ebene, auf der es kein Halten mehr gibt. Das würde schließlich
zur Mediatisierung der mittleren und kleinen Bundesstaaten führen. Redner
lehnt es ab, dem Bundesrat das Recht zu geben, sich in die Existenzfrage
der Einzelstaaten einzumischen. Wir Süddeutschen wollen uns selbstver-
ständlich nicht in unsere bundesstaatlichen Angelegenheiten hineinreden lassen
und dasselbe müssen wir auch den norddeutschen Bundesstaaten zugestehen.
(Beifall i. Z. und r.).
Abg. v. Oertzen (Rp.): Daß die mecklenburgische Verfassung reform-
bedürftig ist, wird wohl kaum bestritten werden können und ich bedauere,
daß die Regierungsvorschläge von der Ritterschaft abgelehnt worden sind.
Die Ablehnung habe ich um so mehr bedauert, als dadurch viele konser-
vative Elemente der konservativen Sache entfremdet werden. Ich habe diesen
Standpunkt häufig zum Ausdruck gebracht und habe mir dadurch die Miß-
stimmung vieler guter Bekannter und Verwandter zugezogen. Aber ich
habe mich im Interesse meines Vaterlandes dazu für verpflichtet gehalten.
Wir halten aber das Reich nicht dazu berechtigt, den Einzelstaaten eine
Verfassung zu oktroyieren. Als Mitglied der Ritterschaft hoffe ich, daß
es gelingen wird, in Mecklenburg selbst eine Verfassung durchzuführen.
Abg. Frohme (Sd.) fordert das Eingreifen des Reiches, da die
Zustände in Mecklenburg unhaltbar seien.
11. Januar. Die preußische Staatsschuld.
Nach den Erläuterungen des Etats der Staatsschuldenverwaltung
für das Etatsjahr 1910 hat die preußische Staatsschuld sich für das Etats-
jahr 1909 auf 8770149734 Mark 91 Pfennig belaufen. Davon kommen
in Abgang durch Tilgung, Rückkauf usw. 28378945 Mark 80 Pfennig.
Dagegen kamen in Zugang bei den Anleihen auf Grund der neuen Anleihe-
gesetze an 4prozentiger konsolidierter Anleihe 270 Millionen Mark und an