Das Beuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 12.) 19
es gab eine Zeit, wo Landräte für polnische Kandidaten eintraten. Die
Regierung sollte wenigstens den Mut haben, offen Farbe zu bekennen,
daß es sich um eine Strafversetzung handelt. Diese hätte aber allerdings
nur auf Grund eines disziplinargerichtlichen Urteils verhängt werden
können. Die gemaßregelten Beamten haben lediglich im Sinne der schon
zitierten ministeriellen Verordnung für Ruhe und Ordnung zu sorgen sich
bemüht. Der Staatssekretär wird ja wohl das Schreckgespenst der polnischen
Gefahr heraufbeschwören, um zu bemänteln, daß es sich hier um eine Ver-
fassungsverletzung handelt. Solche skandalöse Vorgänge dürfen sich in der
Zukunft nicht wiederholen. Wenn Sie (nach l.) sie durch eine Reform des
Wahlrechts verhindern wollen, so werden Sie uns an Ihrer Seite finden.
Stellvertreter des Reichskanzlers Staatssekretär Delbrück: Die dem
Sinne nach im Wesen übereinstimmenden beiden Interpellationen, die ich
zu beantworten habe, stellen zwei Fragen. Der Herr Abg. Graf Oppersdorf-
hat die Zahl dieser Fragen außerordentlich erweitert. Ich gehe zunächst
auf die in den beiden Interpellationen gestellten Fragen ein und auf das,
was unmittelbar damit im Zusammenhang steht. Was die Kattowitzer
Angelegenheit selbst betrifft, so darf ich kurz noch einmal den Tatbestand
wiederholen, der den Entscheidungen des Reichskanzlers zugrunde gelegen
hat. Bei den letzten Wahlen für die Stadtverordnetenversammlung in
Kattowitz ist es zu einem Wahlkompromiß zwischen dem Zentrum und den
Polen gekommen. Infolge dieses Kompromisses waren zu wählen drei
Abgeordnete der Zentrumspartei und zwei Abgeordnete — sagen wir ein-
mal — großpolnischer Richtung. Bei der ersten Wahl, die zu einem end-
gültigen Ergebnis nicht führte, hat eine große Anzahl Beamte verschiedener
preußischer Ressorts, 84 Beamte der Reichepost= und Telegraphenverwaltung
und ein Beamter der Reichsbankverwaltung für diese beiden polnischen Kan-
didaten gestimmt. (Unterbrechung.) Bei der am 29. November statt-
gehabten Stichwahl haben 14 Postbeamte und der Reichsbankbeamte wieder-
um für die beiden polnischen Kandidaten gestimmt. Sie und ein weiterer
Postbeamter, der nicht wahlberechtigt war, aber durch seine Agitation für
die polnischen Kandidaten sich stark hervorgetan hatte, sind alsbald in
andere Orte versetzt worden. Dieses Verfahren der Reichsbehörden deckt
sich mit den Maßnahmen der preußischen Behörden gegenüber den ihnen
unterstellten Beamten und hat die Zustimmung des Reichskanzlers gefunden.
Von den der Reichsverwaltung angehörenden Beamten sind nur solche
Beamte versetzt, die in der Stichwahl wiederum den polnischen Kandidaten
ihre Stimme gegeben hatten, obwohl sie durch ihre Vorgesetzten mündlich
darüber belehrt waren, welcher Parteirichtung diese polnischen Kandidaten
angehörten und in welcher Weise sie sich politisch betätigten. Sie haben
den Polen wieder gewählt, obwohl sie darauf aufmerksam gemacht waren,
daß es mit den Pflichten des Beamten unvereinbar sei, Bestrebungen der
großpolnischen Partei Vorschub zu leisten. Diese Versetzungen haben nicht
den Charakter disziplinarischer Strafe, sondern sind erfolgt im Interesse
des Dienstes. (Unterbrechungen.) Wenn Sie Auskunft wünschen, dann
lassen Sie mir auch die Möglichkeit, Ihnen Auskunft zu geben. Ich kann
wenigstens verlangen, daß Sie mir in Ruhe zuhören. Diese Beamten sind
versetzt in ein Amt mit gleichem Rang und gleichem Gehalt, unter Er-
stattung der Umzugskosten in Orte, in denen sie nicht wieder Gefahr
laufen können, mit der Beamtendisziplin in Konflikt zu geraten und in
den Kreisen der nationalgesinnten Bevölkerung Verwirrung und Unwillen
zu erregen, wie dies in Kattowitz der Fall war. Im übrigen gehören die
15 Postbeamten, die von Kattowitz versetzt sind, zu derienigen Klasse der
Beamten, die nach § 1 des Reichsbeamtengesetzes zwar Reichsbeamte sind,
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