Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Das Dentsqhe Reich und seine eintelnen Glieder. (Januar 12.) 21 
der Hoffnung, das polnische Reich wieder herzustellen. Die Polen fühlen 
sich nicht als Deutsche, Russen oder Oesterreicher, sondern als Polen. (Sehr 
richtig b. d. P.) Das polnische Nationalgefühl wird genährt, so viel es 
geht, und alles Preußische wird schlecht gemacht. Das tut man, weil der 
eigene alte Glanz ja wiederkehren soll. Ich muß das vorbringen, um das 
Großpolentum zu beleuchten. Wir stehen in der polnischen Frage un- 
bedingt hinter der Regierung und bedauern nur, daß in der Polenpolitik 
der Regierung Schwankungen vorgekommen sind. 
Abg. Henning (K.): Wir halten in der Polenfrage an unserer bis- 
herigen Stellungnahme fest, die durch unsere ganze Vergangenheit gegeben 
ist. In nationalen Fragen stehen wir immer auf dem Standpunkt ener- 
gischer Abwehr. Den Polen wurde seinerzeit die Hand zum Frieden ge- 
reicht. Sie haben sie abgelehnt. In Oberschlesien besteht tatsächlich die 
Gefahr einer Polonisierung des Deutschtums. Ihr gegenüber stellen wir 
die großen vaterländischen Ziele in den Vordergrund. Bedauerlich ist es, 
daß das Zentrum die Beamten erst in das Dilemma brachte, für einen 
Polen stimmen zu sollen. Wir wollen die Beamten in ihren Rechten nicht 
beschränken. Aber wir müssen die Regierung auch in dem Bestreben unter- 
stützen, sich eine Beamtenschaft zu schaffen, auf die sie sich verlassen kann. 
Maßregelungen kommen nicht bloß bei unteren und mittleren Beamten 
vor. Denken Sie doch an die Landräte bei der Kanalvorlage. Was dem 
einen recht ist, ist dem andern billig. Jedenfalls liegen uns etwaige kultur- 
kämpferische Absichten völlig fern. Die Disziplin aber muß gewahrt werden, 
denn Ordnung regiert die Welt. 
Staatssekretär des Reichspostamts Krätke: Die Beamten sind ver- 
setzt worden, weil die Regierung nicht dulden kann, daß an einem Brenn- 
punkt der nationalen Interessen Beamte Bestrebungen unterstützen, die direkt 
gegen die Regierung gerichtet sind. Gegen das Zentrum wird damit nicht 
vorgegangen; es ist nur vorgegangen gegen Beamte, die Kandidaten groß- 
polnischer Richtung gewählt haben. Preußen vertritt nur deutsche Inter- 
essen, deshalb handelt es sich um deutsche Interessen. Es ist gesagt 
worden, es handelt sich bloß um Stadtverordnetenwahlen, den kommunalen 
Körperschaften sind aber wichtige Staatsinteressen anvertraut. Mit großer 
Härte ist gegen die Beamten nicht vorgegangen worden. Sie sind aus 
dienstlichem Interesse versetzt worden an Orte, wo sie solchen Einwirkungen 
wie in Kattowitz nicht mehr auzsgesetzt sind, an Orte, unter denen sehr 
schöne sich befinden und wo sie ihrem religiösen Bedürfnis durchaus nach- 
gehen können. Ueberall sind katholische Kirchen. Wir gehen auch niemals 
gegen Beamte wegen ihrer religiösen Betätigung vor. Der Abg. Korfanty 
hat natürlich in seiner Art derartiges behauptet, aber ohne Beweismaterial 
vorzubringen. Die Beamten sind lediglich von Kattowitz entfernt worden, 
weil die Regierung sich von ihrer Tätigkeit nichts Gutes versprechen konnte. 
(Zischen beim Zentrum und bei den Polen.) 
Staatssekretär Delbrück: Der Standpunkt des Herrn Reichskanzlers, 
den ich vorhin zu vertreten die Ehre gehabt habe, ist von verschiedenen 
Seiten mit verschiedenen Gründen angegriffen worden. Wenn ich jetzt das 
Wort zur Abwehr dieser Angriffe ergreife, so habe ich mir zweierlei Fragen 
vorzulegen. Erstens: ist es richtig, daß die Beamten in Bezug auf die 
Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte dem Einfluß des Staates voll- 
ständig entrückt sind, und — falls diese Frage zu verneinen ist, falls dem 
Staate das Recht zusteht, einen gewissen Einfluß auf die staatsbürgerliche 
Betätigung seiner Beamten auszuüben — sind die tatsächlichen Voraus- 
setzungen unrichtig gewesen, die den Reichskanzler veranlaßt haben, die Ver- 
setzung von Reichsbeamten gutzuheißen bezw. anzuordnen? Was die erste
	        
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