Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

24 Das Dentshe Reith und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.) 
Staate Friedrichs des Großen die kulturelle Aufgabe des Staates höher 
bemessen hat als die Erwägungen kluger, berechnender Staatskunst. Viel- 
leicht hat der Staat, der mit vollen Händen, ohne zu fragen, an wen er 
gab, Wohltaten ausstreute, damit eine üble Saat ausgestreut. Ich kann 
nur wiederholen, daß das Recht des Reiches und des preußischen Staates, 
sich gegen solche Bestrebungen zu wehren, unbestreitbar ist. Wir werden 
uns in der Verteidigung dieses Rechtes nicht irre machen lassen. (Lebhafter 
Beifall und Unruhe.) 
13. Januar. (Reichstag.) In der Budgetkommission be- 
spricht Staatssekretär Dernburg die Forderung der Bürger von 
Lüderitzbucht, daß der Kolonialgesellschaft für Südwestafrika größere 
Leistungen auferlegt und ihre Rechte mit Beendigung der Sperre 
am 31. März 1911 aufgehoben würden. 
Durch die Erwerbung des ganzen Gebietes mit allen Land= und 
Bergrechten habe aber die Kolonialgesellschaft als Rechtsnachfolgerin von 
Lüderitz das Bergregal über das ganze Schutzgebiet erworben. Durch Ab- 
kommen mit der Gesellschaft sei aber in ihrem Gebiete seit 1909 allgemeine 
Schürffreiheit eingeführt worden. Die Diamantenpachtgesellschaft liefere 
75½%0 ihres Nettoertrages an den Fiskus ab. Auch von dem Rest verbleibe 
der größere Teil den Beteiligten im Schutzgebiet und nur 2½% den Be- 
teiligten in Berlin. 
13. Januar. (Reichstag.) Fortsetzung der Debatte über 
Maßregelung von Reichsbeamten in Kattowitz. 
Abg. Schrader (Fr. Vg.): Nach § 13 des Reichsbeamtengesetzes ist 
jeder Beamte für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen ver- 
antwortlich. Handelt der Staatssekretär des Innern oder der Staatssekretär 
der Reichspostverwaltung gegen das Gesetz, so trifft auf ihn auch diese Be- 
stimmung zu. Der Staatssekretär beruft sich auf die Staatsnotwendigkeit. 
Wer befindet denn darüber? Wenn ein Befehl von oben herab gesetzwidrig 
ist, so ist er ungültig, und kein Beamter hat sich danach zu richten. Man hat 
die Versetzungen der Beamten als etwas ganz Unerhebliches bezeichnet. Ich 
möchte wissen, ob es dem Staatssekretär gleichgültig wäre, wenn er wo 
andershin versetzt würde. Den Treueid hat der Beamte nicht dem Staats- 
sekretär oder einem Vorgesetzten geleistet, sondern Seiner Majestät dem 
König. Es darf keinem Beamten etwas zugemutet werden, was ungesetzlich 
ist, und am wenigsten kann man ihm ein Recht vorenthalten, das jedem 
Staatsbürger zusteht, das Wahlrecht, überhaupt das Recht der freien Ver- 
fügung an allen Stellen, wo er nicht als Beamter auftritt. Dasselbe Recht 
hat er auch in der kommunalen Körperschaft. Der Staatssekretär hat aus- 
drücklich gesagt, die Beamten hätten im Interesse des Staates zu handeln: 
was aber Interesse des Staates ist, hat irgendein Vorgesetzter zu bestimmen. 
Danach hätte also die Exekutivgewalt des Staates über die Stimmen einer 
nach Millionen zählenden Anzahl von Personen zu verfügen. Daß das der 
Verfassung nicht entspricht, kann niemand leugnen. Wenn eine so große An- 
zahl von Stimmen einfach gebunden wird, so heißt das die Verfassung über 
den Haufen werfen. Der S Staatssekretär macht seine Macht jetzt in der Polen- 
frage geltend; wer sagt aber, daß es allein auf die Polenfrage beschränkt 
bleibt? Mit demselben Recht könnte er es gegen eine andere Partei machen. 
Wenn Fürst Bülow diese Theorie gehabt hätte, hätte er die Beamten ein- 
fach kommandieren können, keinen Zentrumsmann zu wählen.
	        
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