Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

350 Nas Neutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (September 19.—22.) 
Rede des Oberpräsidenten von Pommern enthaltenen Beleidigung 
des Journalistenstandes (s. 5. September). 
19. September. Streik der Seeleute. 
Die deutschen Reedereien lassen englische Matrosen und Heizer nach 
Hamburg, Bremen und Stettin bringen. 
20. September. (Karlsruhe.) Verhalten der Sozialdemokraten 
bei der Feier der silbernen Hochzeit des Großherzogs Friedrichs II. 
und der Großherzogin Hilda. 
Die sozialdemokratischen Abgeordneten, die Einladungen erhalten 
hatten, sagten ab, weil ihre Anwesenheit auf dem Magdeburger Parteitag 
unumgänglich notwendig sei. Nur der sozialdemokratische Bürgermeister 
von Hagsfeld Wurm stellt sich ein und wird dafür vom „Vorwärts“ an 
den Pranger gestellt. 
22. September. (Sigmaringen.) Enthüllung des Denk. 
mals des Fürsten Leopold, spanischen Thronkandidaten von 1870. 
22. September. (Elsaß-Lothringen.) Ansprache des Statt- 
halters Graf v. Wedel bei der Eröffnung der Bezirkspflegeanstalt 
in Mörchingen. 
„Zu meinem lebhaften Bedauern haben sich im Laufe der letzten 
Zeit Mißverständnisse und Gegensätze gezeigt, die schon an sich geeignet 
sind, den Frieden und die ruhige Entwicklung des Landes zu gefährden, 
deren Vertiefung aber unfehlbar schwere Schäden für das Land nach sich 
ziehen muß. Lassen Sie uns in der ernsten und redlichen Arbeit für das 
Wohl des Landes und die Interessen des Reiches das Einigende suchen 
und finden; dann wird auch das die einzelnen Bevölkerungsteile heute noch 
Trennende im Laufe der Jahre von selbst verschwinden. Kein verständiger 
Mensch denkt daran, den Eingeborenen ihre berechtigte Eigenart zu rauben, 
sie in der Pflege ihrer Erinnerungen oder gar in der pietätvollen Ehrung 
der Toten zu hindern, vorausgesetzt indessen, daß dieser Kultus, wenn ich 
den Namen so gebrauchen darf, sich in denjenigen Grenzen hält, die ihm 
durch den Ernst seines Charakters, ganz besonders aber durch die Stellung 
des Landes als Gliedes des Deutschen Reiches gezogen sind. Denn wo 
dieser Kultus äußerlich in agitatorischen und demonstrativen Formen sich 
betätigt, wo er in die Speichen des Rades der geschichtlichen Ent- 
wicklung einzugreifen sucht, da vergeht er sich, indem er das Begriffs- 
vermögen des Volkes verwirrt, an den lebendigen Interessen des Landes 
und des Reiches. Und die Regierung wird in Erfüllung ihrer unverrück- 
baren Pflicht solchen Bestrebungen, wo immer sie sich zeigen, mit unbeug- 
samer Energie entgegentreten.“ Im weiteren Verlauf seiner Rede erklärte 
der Statthalter es als eine Versündigung an der jungen Generation, wenn 
sie an manchen Orten durch die Erziehung im Geiste einer politischen Ver- 
gangenheit, die sie nicht gekannt habe, mit Empfindungen durchtränkt werde, 
unter denen einst ihre Bäter und Großväter schmerzlich litten. Es sei 
entschieden eine Versündigung an der eigenen Heimat, wenn man da und 
dort die Wunden, die ihr einst geschlagen wurden, anstatt heilen zu helfen, 
künstlich offen zu halten suche. Wer die geschichtlichen Tatsachen negiert 
oder ihnen gar entgegenarbeitet, der jagt einem unerreichbaren Phantom 
nach und dient nicht dem Wohle seines Vaterlandes, dessen Geschicke nun 
einmal durch unantastbare Verträge gestaltet worden sind. Nur wer den
	        
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