Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

440 Das Pernisthe Reith und seine einselnen Glieder. (Dezember 13.) 
hat der Abgeordnete Wiemer großes Lob gespendet, und ich will gern an- 
erkennen, daß der Staatssekretär auf einer Reihe von Gebieten große Ver- 
dienste hat. Ich habe ihn auch dabei unterstützt. Aber in das generelle 
Lob kann ich nicht einstimmen, und ich empfehle Ihnen das Buch des 
Dr. Paul Rohrbach. Da wird in der Einleitung gesagt, daß Dernburg 
schwerwiegende Fehler gemacht habe, die nicht wieder gut zu machen wären, 
daß Dernburg seine Politik in einer Art und Weise vertreten habe, die 
eine faktische Täuschung des Reichstags bedeute. Er habe bestehende Tat- 
sachen verschleiert, so daß der Rücktritt von verantwortlicher Stelle eine 
Notwendigkeit wurde. Ich glaube, wenn ein Mann wie Dr. Rohrbach das 
sagt, dann haben wir allen Anlaß, die Verträge Dernburgs gründlich nach- 
zuprüfen. Ich halte meine früheren Vorwürfe in vollem Umfange auf- 
recht. Schlimmer als die Tippelskirch-Verträge sind die Maiverträge von 
1910, wo Ewigkeitsmonopole an Gesellschaften verliehen worden sind. 
Millionen sind dem Deutschen Reiche dadurch verloren gegangen, und ich 
spreche meine Verwunderung darüber aus, daß Herr Dernburg nach Ein- 
reichung seines Abschiedsgesuchs noch einen solchen Vertrag von so weit- 
ehender Bedeutung abgeschlossen hat. Ich bedauere den neuen Staats- 
ekretär, der diese Erbschaft antreten muß. Beim Tempelhofer Feld soll 
das Budgetrecht verletzt sein, bei dem eigenmächtigen Abschluß dieser Ver- 
träge aber nicht. In Zukunft muß der Schatzsekretär bei solchen Verträgen 
mitwirken. Wenn das kaufmännischer Geist gewesen sein soll, so danke ich 
dafür! (Lebhafte Zustimmung r. und i. Z.) Das Programm des neuen 
Staatssekretärs befriedigt mich, und wir können ihm auch nach seiner ganzen 
Vergangenheit Vertrauen entgegenbringen. Wir sind entschlossen, eine 
nationale christliche Kolonialpolitik, die den Finanzen der Heimat Rech- 
nung trägt, mit aller Energie zu unterstützen. 
Darauf antwortet Staatssekretär v. Lindequist: Das Rohrbachsche 
Buch war mir bisher unbekannt, aber ich habe aus der Zirtierung des 
Herrn Erzberger gehört, daß Herr Rohrbach dem früheren Staatssekretär 
eine Täuschung des Reichstages vorwirft. Ich muß hiergegen auf das 
allerenergischste protestieren. Die Verträge werden ja in der Budget- 
kommission noch der Erörterung unterzogen werden. Ich muß aber hier 
noch einmal hervorheben, daß Sie überzeugt sein dürfen von der Pflicht- 
treue und der Absicht des Herrn Staatssekretärs Dernburg, die Interessen 
des Reiches auch in diesem Vertrage nach jeder Richtung hin aufs beste 
zu wahren. (Lebhafter Beifall b. d. L.) 
13. Dezember. Der Staatssekretär a. D. Dernburg veröffent- 
licht eine Erklärung gegen den Vorwurf des Abg. Erzberger, daß 
er unmittelbar nach dem Abschluß der Diamantenverträge seinen 
Abschied genommen hätte. 
Die Verträge sind monatelang in der Budgetkommission und dem 
Plenum des Reichstages Gegenstand der Erörterung gewesen, ehe sie formell 
perfekt wurden. 
13. Dezember. (Reichstag.) Fortsetzung der ersten Lesung 
des Etats. Deutschnationale Kolonialpolitik. Die Moabiter Krawalle. 
Staatssekretär des Reichskolonialamtes v. Lindequist: Herr Erz- 
berger hat gestern gesagt, es werde in meinen Ausführungen eine Stellung- 
nahme zu den Deutschen in den Kolonien vermißt. Ich habe das unter- 
lassen, weil ich angenommen habe, daß meine frühere Tätigkeit in Deutsch- 
Ostafrika und Britisch-Afrika eine Gewähr dafür bietet, daß ich unbedingt
	        
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