442 Jas Venische Reich und seine einzelnen Slieder. (Dezember 13.)
minister und der Herr Marinemister. Der Reichskanzler hat wieder einmal
das alte Lied gesungen, wir seien nur negierend, wir leisteten keine positive
Mitarbeit. Es gibt kein Gesetz, an dem die Sozialdemokratie nicht positiv
mitarbeitete. Die Angriffe auf die sozialdemokratische Wirksamkeit in den
Krankenkassen sind zurückzuweisen, weil dort die Sozialdemokraten hervor-
ragend gute Arbeit geleistet haben. Gerade die von uns geleiteten Kassen
haben am meisten geleistet, und nun sagen Sie, wir negierten nur und
arbeiteten nicht mit, und nun wollen Sie zu gleicher Zeit die Sozial-
demokraten aus den Stellen entfernen, wo sie am besten arbeiten konnten.
Unseren Verdiensten gegenüber wiegen die Verdienste des Reichskanzlers
federleichtl Die Moabiter Vorgänge werden uns ganz zu Unrecht an die
Rockschöße gehängt. Sie werfen uns ganz unerhörterweise vor, daß wir
Abgeordneten und Parteisekretäre vom Gelde des Volkes lebten. Das ist
ein oft widerlegter Unsinn.
Der Herr Reichskanzler sagt, er stünde über den Parteien. Ich
glaube, er glaubt das selbst, aber sonst glaubt es kein Mensch in diesem
Saale. In Wirklichkeit ist er dem Block der Ritter und der Heiligen
rettungslos verfallen. Das tut Ihnen (zum Zentrum) gewiß recht weh,
daß er noch nicht alles erfüllt, was Sie wünschen.
Was Moabit angeht, so hat der Polizeipräsident seinen Beamten
darüber auszusagen verweigert, ob und an welche Zeitungen sie Berichte
und was für Berichte gegeben hätten. (Hört, hört! Zuruf: Er weiß
waruml) Nun, schließlich ist der Vorgang, daß ein Mann, der als Staats-
mann ernst genommen werden will, immer noch an seiner ursprünglichen
Vorstellung festhält und hier ein fertiges Urteil über einen Prozeß, der
seit Wochen ganz anders läuft, abgibt, ganz unerhört. Er meint, wir
hätten die Macht, den Janhagel im Zaun zu halten. Da überschätzt uns
der Herr Reichskanzler. Wir haben keinen Einfluß auf die preußische
Polizei, die das zu besorgen hat. Wir haben nicht einmal den Versuch
dazu gemacht. Uns kann der Reichskanzler nicht den Vorwurf machen,
daß wir den Janhagel nicht im Zaume hielten. Uns fehlt die Macht
dazu. Daß aber solcher Janhagel besteht, ist die Folge der verkehrten
Wirtschaftsordnung. Diesen Janhagel lehnen wir ab, uns an die Rock-
schöße hängen zu lassen. Den behalten Sie gefälligst, die Sie die Ver-
antwortung für die Wirtschaftspolitik haben. Unter diesen Elemten be-
finden sich auch viele, die, wenn sie reiche Eltern hätten, vielleicht zum
Korps Borussia gehörten, denn im Radaumachen und Saufen leisten sie
ganz vorzügliches. Dann hat uns der Reichskanzler die Provokationstheorie
vorgeworfen. Es steht aber doch fest, daß von der Polizei schon manchmal
ein großes Feuer aus einem kleinen gemacht wurde. Das beweisen mehrere
Prozesse. Es sind in Demonstrationszügen Beamte der Polizei mitgegangen,
die besonders aufreizend mitgewirkt haben. Durch einen solchen Prozeß
ist im Urteil festgestellt worden, daß manches in der Beweisaufnahme bei-
ebracht worden ist, das dafür sprach, daß Lockspitzel in den Zügen gewesen
geien. Ein schlüssiger Beweis hätte aber nicht geliefert werden können,
weil den Kriminalbeamten die Aussageberechtigung verweigert worden
wäre. Hat der Reichskanzler die Berichte über die Zeugenaussagen im
jetzigen Krawallprozeß gelesen? Hat er nicht gelesen, daß die Polizei streng
absperrte, wo kein Anlaß war, und dadurch Volksanstauungen künstlich
hervorrief? Redner verliest sodann eine Reihe Zeugenaussagen aus dem
Moabiter Krawallprozeß. Ist dem Reichskanzler nicht bekannt, daß die
Lohnkämpfe sich in Deutschland, wo die stärkste Sozialdemokratie existiert,
am ruhigsten abspielen im Vergleiche zu allen übrigen Ländern? Auch in
Moabit wäre die Sache ruhig verlaufen, wenn sich die Polizei nicht ein-