Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Das Denisqe Rei und seine einjelnen Glieder. (Dezember 14.) 445 
Sie Ihre Mandate auch verloren. Sie werden es ja bei den nächsten 
Wahlen erleben. Wenn wir die Reichspolitik fördern wollen, müssen wir 
uns auch mit den innerpreußischen Verhältnissen befassen. Deshalb können 
wir auch nicht darauf verzichten, daß sich Preußen in liberalem Sinne ent- 
wickelt. Wir können auch nicht verzichten, daß das Wahlrecht in Preußen 
in liberalem Sinne ausgebaut wird. Wir fordern eine über den Parteien 
stehende, unabhängige Regierung. Wir fordern eine Fortführung unserer 
bewährten Schutzpolitik und eine solche der sozialen Politik und dabei Schutz 
der persönlichen Freiheit. Wir fordern eine energische Anwendung der be- 
stehenden Gesetze. Wir lehnen aber Ausnahmegesetze ab. (Zustimmung 
links.) Wir wollen keine Partei ausschalten, aber wir wollen auch nicht 
dulden, daß eine Partei allein ausschlaggebend wird, wie es beim Zentrum 
vor 1906 der Fall war. 
Abg. Fürst Hatzfeldt (Rp.): Der Reichskanzler hat auch der Hoff- 
nung Ausdruck gegeben, daß der Verfassungsentwurf für Elsaß--Loth- 
ringen seine Erledigung finden möge. Wir können darüber heute schwer 
etwas sagen, weil selbst im Bundesrat darüber noch starke Meinungsver- 
schiedenheiten bestehen. Wir können also heute nicht sagen, wir nehmen 
die Verträge an oder lehnen sie ab. Die elsaß-lothringischen Verhältnisse 
können aber nicht lediglich von preußischen Gesichtspunkten aus betrachtet 
werden. Wir müssen die Vorlage in erster Linie für die Verhältnisse des 
Landes zuschneiden, für die sie bestimmt ist. Ueber die Borromäus- 
Enzyklika bitte ich nun die Akten zu schließen, nachdem von maßgebender 
Stelle selbst gesagt worden ist, es solle ihr ein anderer Sinn innewohnen, 
als man herausgelesen hat. Wir wollen doch nicht den alten Kampf 
zwischen den Konfessionen wieder heraufbeschwören. Ueber den früheren 
Staatssekretär Dernburg mag man denken wie man will. Er hat wie 
wohl jeder seine Fehler, aber das muß man bestehen lassen, daß mit ihm 
eine neue Aera für unsere Kolonien eingetreten ist. Er hat es verstanden, 
weite Kreise für unsere Kolonien zu interessieren und er hat es verstanden, 
daß deutsches Kapital in unsere Kolonien gegangen ist, ohne das eine Ent- 
wicklung nicht möglich ist. Der Kolonialetat gibt den vollen Beweis, daß 
die Aera Dernburg keine ungünstige war. Cebhafte Zustimmung rechts 
und links.) Wir wünschen, daß sein Nachfolger ebensolche Erfolge haben 
möge, wie sie Herr Dernburg erzielt hat. 
Abg. Raab (W. V.): Nicht wir haben den Block zertrümmert, son- 
dern er ist von den Freisinnigen in demselben Augenblick zertrümmert 
worden, als sie die Mitarbeit an der Branntweinsteuer ablehnten. Jede, 
auch die beste Steuer, läßt sich abfällig kritisieren. Wer aber Steuern in 
schwerer Stunde ablehnt, hat auch die Verpflichtung, Ersatzvorschläge zu 
machen. Was soll das Geschrei über das Zusammengehen mit den Zentrum? 
Was soll denn das Gerede vom schwarzblauen Block, der nicht existiert? 
Haben nicht die Freisinnigeu für die Aufhebung des Jesuitengesetzes ge- 
stimmt, während wir dagegen eintraten? In denselben Wahlkreisen hat 
der liberale Gegenkandidat dem katholischen Kaplan alles versprochen, nur 
um die Zentrumsstimmen zu gewinnen. Ich habe das nicht getan. Der 
Schutz der Börse, der lag den Freisinnigen bei der Finanzreform am Herzen. 
Der Fehler der Blockpolitik lag darin, daß der Reichskanzler vergessen hat, 
daß man mit diesen Herren Geschäfte nur vor Zeugen machen darf. Die 
Haltung nach der Ablehnung der Erbschaftssteuer ist der schlimmste Differenz- 
einwand, der je dagewesen ist. Wir hätten fraglos ein Recht, das alte 
Börsengesetz zurückzufordern. Bei ihren Wahlgeschäften mit den Sozial- 
demokraten werden die Freisinnigen immer überlistet werden, vielleicht weil 
sie jetzt mehr Juden unter ihren Führern haben. Redner geht weiter auf
	        
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