Lie Ssterreichisch-ungerische Monarchie. (Juni 24.—Juli 1.) 465
24. Juni. (Cisleithanien.) Das Abgeordnetenhaus nimmt
das Budget für 1910 in dritter Lesung an.
25. Juni. (Ungarn.) Der König eröffnet den Reichstag in
der Ofener Königsburg mit einer Thronrede.
„Unser väterliches, um das Schicksal unserer Völker besorgtes Herz
erfüllt es mit Beruhigung, wenn wir das Ergebnis der jüngsten Wahlen
betrachten. Wir erblicken darin eine Gewähr der friedlichen Fortentwickelung,
der allgemeinen Erstarkung unseres geliebten Ungarn. Die erste Aufgabe
der Regierung wird sein, behufs Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zu-
standes auf dem Gebiete des Staatshaushalts-Etats entsprechende Vorlagen
zu unterbreiten.“ Die Thronrede zählt sodann die Reformen in den ver-
schiedenen Zweigen der Verwaltung auf und betont als dringende Not-
wendigkeit die Regelung der Bankangelegenheit. Die Regierung werde Sorge
tragen, daß die Frage der Barzahlungen der Bank geregelt werde. Sodann
heißt es: „Die dringendste, unaufschiebbarste Aufgabe ist die Neuregelung
des Wahlrechts. Die Regierung wird auf Grund des allgemeinen Wahl-
rechts einen Gesetzentwurf unterbreiten, der bei voller Wahrung des ein-
heitlichen nationalen Charakters des ungarischen Staates den Ansprüchen
der demokratischen Entwicklung entsprechen wird.“ Weiter sagt die Thron-
rede, daß die Entwicklung der Wehrmacht erforderlich ist, und zwar in
dem Maße und in der Richtung, daß die zur Wahrung der Sicherheit und
Stellung der Monarchie berufene bewaffnete Macht in der Lage ist, ihrer
Aufgabe unter allen Umständen gerecht zu werden. Dabei solle auf die
finanzielle Leistungsfähigkeit des Landes entsprechende Rücksicht genommen
werden. Schließlich heißt es: „Mit aufrichtiger Genugtuung weisen
wir auf das unveränderte Fortbestehen unserer bewährten Bündnisse
und auf unsere durchaus freundschaftlichen Beziehungen zu allen Mächten
hin. Die sich stets steigernde Friedensliebe der europäischen Staaten
Küllt uns mit Vertrauen auf die Beständigkeit der Segnungen des
riedens.“
25. Juni. (Wien.) Das Kriegsgerichtsurteil über Ober-
leutnant Hofrichter lautet auf Kassation von der Offizierscharge
und verschärften schweren Kerker von 20 Jahren (val. 28. Maig).
29. Juni. (Wien.) Christine Hebbel, geb. Engehaus, ehe-
malige Hofschauspielerin und Witwe Friedrich Hebbels, f#im
93. Lebensjahre.
1. Juli. (Lemberg.) Kampf zwischen polnischen und ruthe-
nischen Studenten in der Universität.
Ueber 300 mit dicken Stöcken versehene ruthenische Studenten be-
setzen den Saal der Universität und bekämpfen die sich später versammeln-
den polnischen Studenten mit Prügeln und Revolverschüssen, wobei 7 Aka-
demiker und 3 Amtsdiener erheblich verwundet wurden. Der Kampf setzte
sich auf die Straße fort, so daß die Polizei einschreiten mußte. Ein vorüber-
gehender Geistlicher und ein Ruthene erlagen ihren Wunden. 127 Ruthenen
wurden verhaftet.
1. Juli. Das Auswärtige Amt erklärt, daß der in Peters-
burg verhaftete Baron v. Ungern-Sternberg mit dem österreichischen
Militärattaché Grafen Spannochi in keiner Verbindung stand.
Europäischer Geschichtskalender. UI. 30