Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

474 Bie Uerrrichisch-#ungerische Menarchie. (Oktober 15.) 
Politik auf seine Slaven Rücksicht nehmen. In der Annexionskrise hat 
Deutschland das beste Geschäft gemacht. Deutschland nimmt bundestreu 
die von uns verlorenen wirtschaftlichen Positionen auf dem Balkan ein, 
namentlich in Serbien. Die frühere Politik Aehrentals haben die Slaven 
begrüßt und sie wurde auch von Deutschland gebilligt, weil sie eine konser- 
vative Friedenspolitik war, wogegen wir jetzt kühl bis ans Herz beiseite 
stehen müssen. 
Bärnreither polemisiert gegen Kramarz und erklärt sich mit dem 
Grafen Aehrenthal einverstanden, daß er bei der Annexion den Weg der 
Konferenz nicht betreten hat. Ganz falsch sei es, von einem Abhängigkeits- 
verhältnis Oesterreichs zu Deutschland zu reden. Es hat sich das natürliche 
Verhältnis zwischen den beiden Reichen und die natürliche Zusammen- 
gehörigkeit in glänzendster Weise bewährt. Aus der Kriegsbereitschaft 
haben wir einen großen moralischen Nutzen gezogen. Die Throurede er- 
klärt, daß das Bündnis mit Deutschland und Italien wenn möglich noch 
fester und inniger geworden sei. Dieser Passus wird von allen Freunden 
des Friedens mit lebhafter Freude und Dankbarkeit vernommen. Es scheint, 
daß sich ein gewisses Einverständnis zwischen Deutschland, Oesterreich- 
Ungarn und der Türkei vorbereitet, das eine sehr große militärische Be- 
deutung haben und vom Belt bis zum Bosporus eine starke Friedens- 
aufstellung bedeuten würde. Der Redner bespricht, wie in Deutschland für 
eine Handelsverbindung mit Serbien agitiert werde, während die Be- 
ziehungen Serbiens zu Oesterreich schwächer werden. 
Baron Schwegel zollt der Leitung der äußeren Politik seine vollste 
Anerkennung. Er könne sich jedoch mit der wirtschaftlichen Politik nicht 
einverstanden erklären, die den Balkanstaaten gegenüber brobachtet wird. 
Der Sozialdemokrat Renner verurteilt die Annexionspolitik. Ueber 
Serbien wurden Lügen bewußt in die Welt gesetzt, um größere Kriegs- 
rüstungen zu ermöglichen. Die Lügenmache brach schmählich im Prozeß 
Friedjung zusammen. In der Handelspolitik erweist sich das gemeinsame 
Ministerium als bloßes Vollzugsorgan der Agrarier. 
15. Oktober. Österreichische Delegation. Fortsetzung der De- 
batte über äußere Politik. 
Graf Latour erkennt die Bündnistreue des Deutschen Reiches an 
und warnt vor einer Politik der Undankbarkeit. 
Der Pole Graf Wodziecki polemisiert gegen Kramarz, der in 
einem Bündnis mit Rußland das Heil der Monarchie erblicke. Die Polen 
werden sich mit diesem Gedanken niemals befreunden können. Er erhebt 
Protest, daß Oesterreich-Ungarn Portugal als Republik anerkenne. 
Der tschechische Sozialdemokrat Nemetsch meint, die Kraft der 
nationalen Idee sei heute so stark, daß sie sogar den Sozialismus zurück- 
dränge. Zwischen uns und den deutschen Sozialdemokraten gibt es nur 
Streit über innere Organisationsfragen, sonst gehen wir immer einig vor 
und werden auch in Zukunft einig vorgehen. 
Lecher erklärt, Graf Aehrental habe durch seine erfolgreiche Politik 
und sein treues Festhalten an dem Bündnis mit dem Deutschen Reiche das 
Vertrauen der Deutschen erworben. 
Jendrzejowitsch sagt: Wir sind in erster Linie Polen und erst 
in zweiter Linie Slaven. Deshalb können wir die großen Sympathien 
Kramarzs für Rußland nicht teilen. Wir wollen ein starkes Oesterreich 
und wünschen, daß alle Völker dieser Monarchie hier ihr Glück finden können. 
Der Minister des Aeußern Graf Aehrenthal bemerkt, er seie 
Dr. Lecher sehr dankbar für seine Erklärungen betreffs der Unterstützung,
	        
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