Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Die ãserreithisq·nugarishe Menarqchie. (Oltober 15.) 475 
die er und seine politischen Gesinnungsgenossen seiner Politik entgegen- 
gebracht hätten. Er habe die Unterstützung durch die Parlamente nicht 
vergessen. Als er von der öffentlichen Meinung sprach, hatte er die Absicht, 
die konstituierten Vertreter der öffentlichen Meinung zu erwähnen. Im 
Frühjahre 1909 konnten die Delegationen nicht einberufen werden, weil 
die Anforderung größerer Kredite in Europa eine größere Beunruhigung 
hervorgerufen hätte. Nach dem Abschluß der Annexion war die Einberufung 
wegen der ungarischen Krise nicht möglich. 
Der Ruthene Ceglinski wendet sich gegen den von Kramarz an- 
geregten Neoslavismus, der nur Rußland politische Vorteile, aber den 
anderen slavischen Stämmen, insbesondere dem ruthenischen Volke, immer 
Verderben bringen könnte. Kramarz beklagt, daß alle Redner, auch die 
slavischen, gegen ihn polemisiert hätten. Er habe nicht vom Vasallen- 
verhältnis zu Deutschland gesprochen. Aber es sei begreiflich, daß der 
Slave ein allzu enges Verhältnis zu Deutschland fürchtet. Im Verhältnis 
u Deutschland werden wir immer die Schwächeren sein. Wir wollen gute 
schechen bleiben, was uns nicht hindert, gute Slaven zu sein. Wir wollen 
kein slavisches Oesterreich, ebenso wie es unmöglich ist, ein deutsches Oester- 
reich zu haben. Es ist leicht, sehr patriotisch zu sein, wenn alles vom Staate 
gemacht wird, was man will und braucht. 
Minister Graf Aehrenthal: Ich glaube, die Schöpfer der Allianz 
zwischen Oesterreich-Ungarn und Deutschland haben von Anfang an die 
große Bedeutung dieses festen Zusammenstehens der beiden mitteleuropäischen 
Kaisermächte richtig eingeschätzt und die Wichtigkeit dieses Bündnisses für 
die Interessen der beiden Mächte und für den europäischen Frieden erkannt. 
Die Zuspitzung der Ereignisse brachte eben die Richtigkeit dieser vor dreißig 
Jahren eingeleiteten Politik in das allgemeine Bewußtsein und das ist der 
große Vorteil für jetzt und für alle Zukunft. Gegenüber der Behauptung, 
daß die Durchführung der Annexion die Isolierung der Monarchie zur 
Folge gehabt habe, verweist der Minister mit Befriedigung auf das Ver- 
hältnis zu Italien, das sich herzlich und vertrauensvoll gestaltet hat. Die 
Besprechungen in Salzburg und Turin haben nur abermals ergeben 
können, daß die Interessen Oesterreich--Ungarns und Italiens sowohl in 
den Fragen der europäischen Politik wie in denen des naden Orient sich 
in voller Uebereinstimmung befinden. Diese Harmonie wird auch wohl in 
Zukunft erhalten bleiben. Bezüglich des Verhältnisses zu Rußland 
wie der Vorbesprechungen vor der Annexion verweist der Minister auf die 
von ihm im Jahre 1908 abgegebenen vertraulichen Erklärungen sowie 
darauf, daß zwischen dem Wiener und dem Petersburger Kabinett vor 
Jahresfrist eine Vereinbarung zustande gekommen ist, nach der über diese 
glücklicherweise vergangenen Differenzen nichts veröffentlicht werde. Der 
Minister wiederholt, daß die Beziehungen Oesterreich-Ungarns zu allen 
Mächten gut seien und daß sie auch weiterhin auf das sorgfältigste ge- 
pflegt werden sollen; dies gilt selbstverständlich auch von dem Verhältnis 
zu Rußland. Der Minister gibt der Ueberzeugung Ausdruck, daß die durch 
die Annexion krise hinterlassenen Verstimmungen nunmehr der Vergangenheit 
angehören. Hinsichtlich des angeblichen Mißtrauens, das die Aktion Oesterreich- 
Ungarns bei den anderen Mächten hervorgerufen haben solle, wobei England 
und Frankreich wohl in erster Linie in Betracht kämen, erklärte er, als 
Minister sagen zu können, daß er in fortwährendem Verkehr mit den Re- 
gierungen dieser Staaten stehe und die pessimistische Auffassung von 
Dr. Kramarz nicht teilen könne. Es sei richtig, daß betreffs der Annexion 
mit den Westmächten mehr mit England als mit Frankreich divergierende 
Anschauungen bestanden hätten, seither seien aber die Beziehungen durchaus
	        
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