Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Die #erreichisch- ungarische Monarchie. (November 23.—Dezember 11.) 479 
verratsprozesses, dessen Schlußverhandlung am 3. März 1909 be- 
gonnen hatte. 
23. November. (Cisleithanien.) Staatsfinanzen. 
Das Budget für 1911 weist ein Gesamterfordernis von 2818199736 
Kronen auf; die Gesamtdeckung beträgt 2818 407772, mithin der Ueber- 
schuß 311036 Kronen. Der Finanzminister beansprucht die Ermächtigung 
für die Beschaffung von 135 Mitllionen Kronen effektiv, wovon 25,8 Millionen 
auf die Tilgungsrente, der Rest auf Eisenbahninvestitionen entfällt. 
26. November. (Cisleithanien.) Dr. Kramarz wird ge- 
zwungen, die Führerschaft der Tschechen niederzulegen. Sein Nach- 
folger wird der ehemalige Handelsminister Dr. Fiedler. 
28. November. (Prag). Die medizinische Fakultät der deutschen 
Universität ernennt Kaiser Wilhelm II. zum Ehrendoktor. 
29. November. (Cisleithanien.) Abgeordnetenhaus. 
Die Resolution Moraszewski, die von der Regierung die beschleunigte 
Vorarbeit für Wasserstraßenbau verlangt, wird mit 257 gegen 128 Stimmen 
angenommen. Ein Mißtrauensvotum wegen der späten Einberufung des 
Reichsrates und wegen der Erhöhung der Post= und Telegraphengebühren 
sowie der Tabakabgaben wird abgelehnt. 
1. Dezember. (Ungarn.) Parlament. 
Der Finanzminister überreicht das Uebereinkommen über die Ver- 
längerung des Bankprivilegs und die Aufnahme der Barzahlungen. 
Punkt 5 verfügt, daß, falls über den Vorschlag auf Aufnahme der Bar- 
zahlungen von beiden Parlamenten nicht binnen vier Wochen entschieden 
wird, dieser auch ohne Zustimmung des Parlaments Rechtskraft erlange. 
1. Dezember. (Cisleithanien.) Abgeordnetenhaus. Fleischnot. 
Nach 13stündiger stürmischer Sitzung wird eine Resolution an- 
genommen, welche für die Zeit des Bedarfs zur Behebung der Fleischnot 
die Einfuhr überseeischen Fleisches nach Oesterreich verlangt. 
9. Dezember. (Ungarn.) Im Justizausschuß des Magnaten- 
hauses wird der Beschluß des Abgeordnetenhauses, daß Zeugen in 
Zivilprozessen nicht nach ihrer Religion zu befragen sind, bei Stimmen- 
gleichheit durch den Vorsitzenden genehmigt. 
11. Dezember. Zu den Reden des deutschen Reichskanzlers. 
Das „Fremdenblatt"“ schreibt zu den beiden Reden des deutschen 
Reichskanzlers vom 10. Dezember: „Von den knappen, streng sachlichen 
Reden, in welchen Herr von Bethmann Hollweg unter Verzicht auf all- 
gemeine Darlegungen die wichtigsten Fragen der äußeren Politik zu be- 
handeln liebt, ist die letzte unbestreitbar die inhalts= und aufschlußreichste 
gewesen. In ihrer bündigen Kürze hat sie hochbedeutsame Mitteilungen 
namentlich über die Gestaltung der Beziehungen des Deutschen Reiches zu 
Großbritannien und Rußland geboten. Durch die Ausführungen des Reichs- 
kanzlers sind in bestimmtester Form die friedlichen Tendenzen gekennzeichnet 
worden, welche einerseits der Dreibund und andrerseits die Tripelentente 
verfolgen. So kann Deutschlands äußere Politik unter von Bethmann 
Hollwegs Führung in allen ihren Hauptgebieten auf Erfolge hinweisen. Aber 
von den beiden Reden hat dem Reichskanzler die erste, in der er sich mit
	        
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