Das Veensche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 19.) 15
dafür, daß nicht eine verständnislose Bureaukratie das zunichte macht, wos
im Interesse einer einheitlichen und freiheitlichen Entwickelung von der
Mehrheit dieses Hauses beschlossen ist. Wir werden deshalb alljährlich
solche kritischen Debatten über dieses Gebiet veranlassen, bis endlich auch
in Preußen und Sachsen die Bureaukraten einsehen, daß sie dem Drängen
des Parlaments nachgeben müssen. Wir tun das in der festen Ueberzeugung,
daß wir damit im besten Sinne staatserhaltend wirken, denn die Gerechtig-
keit, die hier verletzt wird, ist das beste Fundament des Staates.
Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück: Das Reich hat nicht die
Ausführung der Gesetze, sondern diese obliegt den Bundesstaaten. Dem
Reich ist eine Einwirkung auf die Ausführung der Geschäfte nur so weit
möglich, als feststeht, daß die Landesbehörden durch ihr Verhalten sich in
Widerspruch mit den klaren Bestimmungen oder dem Geist der Vorschriften
gesetzt haben. Das hat auch mein Herr Amtsvorgänger bei der letzten Inter-
pellation über dasselbe Thema zum Ausdruck gebracht. Ich glaube, auch
der Abg. Müller-Meiningen wird mir nicht den Vorwurf machen können,
daß ich bureaukratisch verfahre, wenn ich denselben Standpunkt wie mein
Vorgänger einnehme. Die Verstöße, die ja hier und da vorkommen mögen,
sind übrigens nicht zurückzuführen auf den Geist, in dem die Zentralbehörden
das Gesetz ausführen, sondern auf das Verhalten der Lokalbehörden. Wenn
Sie die beiden Erlasse sich ansehen, die der preußische Minister des Innern
über die Handhabung des Gesetzes herausgegeben hat, so werden Sie sicher
die Ueberzeugung gewinnen, daß an dieser Stelle das ehrliche Bestreben
besteht, das Gesetz so auszuführen, wie es gedacht ist. In eine Kritik ge-
richtlicher Entscheidungen einzutreten, habe ich stets vermieden und werde
ich auch weiterhin vermeiden, weil unsere Rechtsprechung jeder Beeinflussung
des Parlaments und der Verwaltungsbehörden grundsätzlich entzogen bleiben
muß. Die Rechtsprechung der Gerichte ist lediglich dem Gesetz unterworfen,
und wenn man mit ihren Entscheidungen nicht zufrieden ist, ist man in
der Lage, die Rechtsmittel einzulegen. Herr Dr. Müller hat mir eine Anzahl
von Fällen, die er erörterte, vorher bekannt gegeben, ich habe mich bemüht,
sie zu eruieren. Bei dem Kieler Fall hat es sich nicht um einen inter-
nationalen Kongreß, sondern um eine deutsche Volksversammlung gehandelt.
zu der man einen einzelnen hier anwesenden Ausländer eingeladen habe.
In diesem Falle gibt aber die Bestimmung des Vereinzsgesetzes der Landes-
zentralbehörde die unbeschränkte Befugnis, nach freiem Ermessen die fremde
Sprache zu gestatten oder nicht. Es ist juristisch unmöglich, daß man einer
Landeszentralbehörde die unbeschränkte Befugnis gibt und sie nachher zur
Verantwortung zieht, wenn sie davon Gebraucht macht. Im übrigen ist
das Verbot durch den Regierungspräsidenten erfolgt, eine Beschwerde an
den Minister des Innern ist nicht ergangen. Ich bin also nicht in der
Lage, weiter auf den Fall einzugehen. Der Staatssekretär geht auf weitere
Fälle ein und stellt fest, daß in dem Falle des Versammlungsverbots wegen
Scharlachgefahr dem Amtsvorsteber durch den Landrat eröffnet worden ist,
daß sein Versammlungsverbot nicht korrekt sei. Sie sehen also, in einem
der wenigen Fälle, die zur Kognition des Ministers gekommen sind, ist
prompt Remedur eingetreten. Der Staatssekretär verliest sodann einen Erlaß
des Ministers des Innern, wonach unter Bezugnahme auf die Erklärung
des Staatssekretärs des Innern in der Reichstagskommission über das
Vereinsgesetz betont und die Erwartung ausgesprochen wird, daß aus Anlaß
der Hergabe von Sälen für politische Versammlungen usw. keine gewerb-
lichen Nachteile angedroht werden sollten, wie in Sachen der Polizeistunde
usw. Wie soll ich bei dieser Sachlage Anlaß nehmen, mich mit dem Mi-
nister des Innern ins Einvernehmen setzen? Wird im Einzelfalle gegen