krankrrich. (Juni 1.—9.) 539
Wahlkreise geteilt werden. Vor den Wahlen findet eine Nomination der
Kandidaten statt. Die Regierung schlägt vor, das Mandat der Deputierten
auf 6 Jahre zu verlängern, dagegen alle 2 Jahre die Kammer zu einem
Drittel zu erneuern.
1. Juni. Eröffnung der neuen Kammer.
1. Juni. (Paris.) Besuch des Königs von Griechenland
beim Präsidenten Fallieres.
8. Juni. (Monako.) Der Fürst löst sein Verfassungs-
versprechen ein, indem er für den 19. Juni die Wahlen von 19 Ge-
meinderäten, die das künftige Parlament bilden sollen, ausschreibt.
9. Juni. (Kammer.) Vorlage des Regierungsprogramms.
Ministerpräsident Briand verheißt in seiner ungewöhnlich langen
Darlegung eine umfassende Reformarbeit, durch die das Ministerium zeigen
will, daß es von seiner anfänglichen „politique de détente et de liquidation“
der neuen Kammer gegenüber zu einer „politique d'action et de réformes“
fortgeschritten ist.
In der Erklärung heißt es: Die Kammer wird mit uns der Meinung
sein, daß es ihre dringendste Pflicht ist, ihre Bestrebungen unter Disziplin
zu stellen, ein wohlüberlegtes Arbeitsprogramm festzustellen und einzuhalten
und sich nicht wie frühere Parlamentsversammlungen auf Abwege bringen
zu lassen. Die Regierung steht zur Verfügung des Parlamentes für eine
enge Mitarbeit in der gleichen Sorge um das öffentliche Wohl. Die Re-
gierung kennt ihre Pflicht und ist entschlossen, sie zu erfüllen. Sie will,
daß ihre Verwaltung und ihre Beamten immer mehr im Lande den Ein-
druck verbreiten, daß keinerlei selbst noch so leidenschaftliche politische Be-
tätigung zu Repressalien und zu einer Verkürzung der persönlichen Freiheit
führen könne. Aber die Grundaufgabe der Regierung ist zu regieren, und
sie wird diese Funktion nicht in Verfall geraten lassen. Die Regierung
hat die Absicht, die ausübende Staatsgewalt in jeder Richtung und mit
allen Folgen anzuwenden, ohne sie durch die Einmischung unberechtigter
Einflüsse schwächen zu lassen. Die Regierung wird keine Einflüsse, welche
den Keim der Disziplinlosigkeit in den Beamtenstand tragen und das
parlamentarische Regime hemmen müssen, dulden.
Wenn das Parlament und die Regierung in dieser Weise ihre
gegenseitige Rolle verstehen, so können die Bedingungen des öffentlichen
Lebens nur gewinnen. Es ist aber nötig, daß die bestehenden Einrichtungen
sich dem allgemein anerkannten Bedürfnis entsprechend umformen. Wir
denken dabei an die Reform der Verwaltung und an die Reform
des Wahlsystems, welche die unerläßliche Voraussetzung der ersteren dar-
stellt. Die Wahlreform soll durch eine Erweiterung des Stimmrechts die
Vorherrschaft der allgemeinen Interessen über die bisweilen überwuchernden
lokalen Interessen sichern. Es handelt sich dabei nicht um eine Verurteilung
des bisherigen Systems, welches hervorragende Dienste geleistet hat, indem
es die republikanischen Ideen bis in die widerstrebendsten Landesteile ver-
breitete. Aber das System hat im Laufe der Zeit das Feld der Wähler
und der Kandidaten immer enger begrenzt. Es ist berechtigt, daß die
Volksvertreter die besonderen Interessen ihrer Wahlkreise wahrnehmen.
Aber diese Interessen sollen immer mehr hinter die allgemeinen Interessen
Frankreichs gestellt werden. Die Reform des Wahlsystems muß sich vor
allem unseren republikanischen Einrichtungen anpassen. In der Demokratie
wird die gesamte Staatsgewalt aus dem allgemeinen Stimmrecht abgeleitet