542 Krankreich. (Juni 27.—Juli 1.)
öffnet. Diese Gedanken der Freiheit, der Gerechtigkeit und des sozialen
Fortschritts sind es, die ich bei meinem Volke immer rege halten wollte,
da ich überzeugt bin, daß das Gedeihen eines Landes vor allem von seiner
geistigen und politischen Gesittung abhängt.“
27. Juni. (Kammer.) Fortsetzung der Diskussion über die
allgemeine politische Lage.
« In Beantwortung der Ausführungen verschiedener Redner erklärte
Ministerpräsident Briand, die Regierung wolle sich bei der Ausübung
der öffentlichen Gewalt auf die republikanische Mehrheit stützen. Bei den
Kämpfen, die die Republik zu bestehen gehabt habe, habe sie bisweilen,
um sich den Sieg zu sichern, bis zum äußersten gehen müssen. Wenn
aber die Schlacht gewonnen sei, sei es die Pflicht eines Führers, der seine
Armee achte, sie anzuhalten, damit sie ihren Sieg nicht beschmutze. Die
republikanische Partei habe die Macht, und sie habe, um die Regierung
für alle führen zu können, gewisse Verpflichtungen, ohne deshalb ihre An-
sichten aufzugeben. Er fordere die Majorität auf, ihm volles Vertrauen
zu schenken und nicht nur Vertrauen für die nächste Zukunft, das der
Regierung nur zu vegetieren gestatte und ihre Schwäche dem Land und
ihrer Partei mitteile. Die Wahlreform müsse von der Majorität ein-
geführt werden, um lebensfähig zu sein. Im Unterricht sei die Kontrolle
des Staates notwendig. Briand versicherte, er werde das Gesetz, betreffend
die Altersversicherung der Arbeiter, zur Ausführung bringen. Be-
züglich der Monopole brauche die Regierung nicht Partei zu ergreifen,
denn dies sei eine Frage der Opportunität. Das Programm, das seine
Erklärung enthalte, müsse den Ansprüchen der Majorität genügen. Für
die Regierung bestehe die Notwendigkeit, für Ordnung und Sicherheit in
den Straßen zu sorgen. Was die Zwischenfälle bei dem gestrigen Leichen-
begängnis des Tischlers anlange, so habe die Polizei erst eingegriffen nach
unerträglichen Herausforderungen. Zum Schluß erklärte Briand, er ver-
lange Vertrauen ohne Einschränkung oder Hintergedanken, selbst von denen,
die dem Ministerium nicht günstig gesinnt seien und die einen entscheidenden
Angriff, der ihnen heute nicht am Platze schiene, auf eine spätere Zeit ver-
schieben möchten. „Alles oder nichts!“
W. Juni. (Kammer.) Briand und der Sozialismus.
Da die Rede Briands als eine Absage an die Radikalsozialisten auf-
gefasßt wurde, so forderte Abg. Berteaux eine deutliche Erklärung. Briand
beruft sich auf die nicht am Parteikampf interessierten Wähler, die guten
Franzosen und guten Republikaner, die die weitaus größte Mehrheit des
Volkes bilden und die den Frieden und die Sicherheit wollen, um arbeiten
zu können. Der erste Teil des Vertrauensvotums wurde deshalb gegen
120 Stimmen angenommen, weil nicht nur die 74 geeinigten Sozialisten
und die 29 Monarchisten, sondern auch 8 hervorragende Radikalsozialisten
und 4 sozialistische Republikaner dagegen stimmten. Die schließliche Ab-
stimmung der ganzen Tagesordnung wurde mit 403 gegen 110 Stimmen
angenommen.
1. Juli. (Paris.) Krawall gegen die Polizei.
Am frühen Morgen erfolgt die Guillotinierung des Schuhmacher-
gehilfen Liabeuf, der am 8. Januar einen Polizisten ermordet hatte. In-
folge der eifrigen Agitation für seine Begnadigung beschimpfte die ver-
sammelte Volksmenge auf dem Boulevard Arago die zur Absperrung
aufgebotenen Schutzleute, wobei es zu Revolverschüssen, Säbelhieben und
Verletzungen der Schutzleute und Ruhestörer kam.