Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

548 Krankreich. (November 2.—8.) 
Mehrheit, ich habe das Recht, Klarheit und Offenheit zu verlangen, die 
Regierung kann dieses Haus nicht verlassen mit einem zweideutigen Ver- 
trauensvotum, das ihr nicht gestatten würde, gewissen Ereignissen die Stirn 
zu bieten. Sie sagen, die Regierung sei reaktionär; gut, Sie haben sie in 
der Hand, zerbrechen Sie sie! Aber ich bitte Sie, es am hellen Tage und 
nicht im Finstern zu tun!“ (Alle Minister beglückwünschen Briand und 
nehmen dann ihre Sitze auf der Ministerbank wieder ein. — Wiederholter 
lebhafter Beifall im Zentrum und bei einem Teil der Linken.) Hierauf 
wurde die von der Regierung bekämpfte einfache Tagesordnung mit 
384 gegen 155 Stimmen abgelehnt. Guesde (geeinigter Sozialist) 
forderte sodann die Kammer auf, das Werk heilsamer Gerechtigkeit zu 
vollenden und den Ministerpräsidenten in den Anklagezustand zu versetzen. 
Seine in diesem Sinne gehaltene Tagesordnung wurde mit 503 gegen 
75 Stimmen abgelehnt. Hierauf bat Briand, über die Tagesordnung 
Raynaud abzustimmen, und stellte die Vertrauensfrage hinsichtlich ihrer 
Priorität. Der Gegenantrag zugunsten einer Tagesordnung Ernest Roche, 
worin die Regierung ausgefordert wird, sich mit der Wiederanstellung der 
abgesetzten Eisenbahner zu beschäftigen, wurde mit 373 gegen 103 Stimmen 
abgelehnt. Am Schlusse der Sitzung wurde die gesamte Tagesordnung, 
welche der Regierung das Vertrauen ausspricht, mit 388 gegen 94 Stim- 
men angenommen. 
2. November. Das Ministerium nimmt seine Demission, 
die der Präsident Fallieres genehmigt, um Briand völlig freie 
Hand bei der Berufung neuer Kollegen zu verschaffen. 
3. November. Briand bildet ein neues Ministerium ohne 
den sozialistischen Millerand, der für das Streikrecht der Staats- 
beamten eingetreten war, und ohne Viviani. 
Nachfolger des letzteren wird der Deputierte Lafferre, der die über- 
mäßige Propaganda der „Action française“ in Elsaß-Lothringen als in- 
opportun bekämpft hatte. Das neue Ministerium setzt sich folgendermaßen 
zusammen: Präsidium und Inneres: Briand; Justiz: Girard: Aeußeres: 
Pichon: Finanzen: Klotz; Krieg: General Brun; Marine: Admiral Boné 
de Lapeyrere: Unterricht und Künste: Faure; Oeffentliche Arbeiten: Laf- 
ferre; Handel: Dupuy: Ackerbau: Raynaud; Verkehrsministerium: Puech 
(Radikal-Sozialist,; Kolonien: Jean Morel; das Unterstaatssekretariat der 
Marine erhielt der Briand befreundete Deputierte Guist haut. Sie sind 
sämtlich Radikale oder Radikal-Sozialisten. 
Paul Deschanel nahm das ihm angebotene Unterrichteministerium 
nicht an. 
8. November. (Kammern.) Regierungsprogramm. 
Im Senat verliest Justizminister Girard und bei den Deputierten 
Ministerpräsident Briand die folgende Erklärung: Die Regierung, die an 
der Trennung der staatlichen von der kirchlichen Gewalt, an der Gerechtig- 
keit und der Freiheit festhält, wird sich ausschließlich auf eine republi- 
kanische Mehrheit stütgen, welche aus Männern besteht, die entschlossen sind, 
die Eroberungen der Republik gegenüber der Kirche gegen die Reaktion zu 
verteidigen und weiter auszudehnen. Die Regierung wird ein Gesetz zur 
Verteidigung der Laienschule einbringen und auf gesetzlichem Wege die 
Wahl-, die Verwaltungs- und die Zustizreform sowie das Beamten= und 
das Einkommensteuergesetz ins Leben rufen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.