Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Frankreich. (Dezember 8.—12.) 551 
8. Dezember. Der Senat stimmt dem von der Kammer ein- 
stimmig bewilligten Kredit von 5800000 Franken für die vom 
Hochwasser Geschädigten zu. 
9. Dezember. (Kammer.) Gegen die künstlichen Preis- 
treibereien für Zucker und Spiritus. 
In Beantwortung von Anfragen der Abgeordneten Girod und 
de Monzire führte der Handelsminister Dupuy aus: Die Preisschwankungen 
des Spiritus würden durch eine Anzahl Börsenspieler und Spekulanten 
hervorgerufen, zu deren Verteidiger er sich nicht aufwerfen wolle. Die 
im vorigen Jahre angestellte Untersuchung habe schlimme Börsen- 
manöver aufgedeckt, denen aber mit dem Gesetz nicht beizukommen sei. 
Der übermäßig hohe Preis für Zucker und Spiritus sei im vorigen Jahre 
allgemein gewesen, allerdings in Frankreich noch höher als im Auslande. 
Er sei hervorgerusen worden sowohl durch die ungünstigen Witterungs- 
verhältnisse des Jahres als auch durch spekulative und wucherische Auf- 
käufe. Bevor man in Verhandlungen über die Regelung des ausländischen 
Marktes trete, sei es praktischer, zuerst den einheimischen Markt zu regeln 
und die französische Gesetzgebung zu ergänzen. Eine Kommission studiere 
augenblicklich die Frage der Reform der Produktenbörse und der Märkte. 
Es sei angebracht, die strafgesetzlichen Bestimmungen zu ergänzen. 
11.—12. Dezember. Preßstimmen zu den Ausführungen des 
deutschen Reichskanzlers über die Potsdamer Begegnung und über 
die Agadir-Angelegenheit. (S. 432—33.) 
Die der Regierung nahestehenden Zeitungen führen mit bitterfüßer 
Miene aus, daß das Vertrauen auf die Fortdauer der Allianz mit Ruß- 
land durch die Besserung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Rußland 
nicht erschüttert werde, daß man sich aber keinem Optimismus hingeben dürfe. 
Der „Temps“ findet, daß die jüngsten Erfolge Deutschlands in 
der Türkei zum Teil auf Rechnung der keineswegs einwandfreien Politik 
Frankreichs und Englands am Goldenen Horn zu schreiben seien. Der 
Besuch von Agadir durch den Kreuzer „Du Chaylla“ diente zur Ver- 
hinderung des Waffenschmuggels und gehöre zu den durch den Algeciras= 
Vertrag Frankreich ausdrücklich zugestandenen Rechten. 
Die „Action“ schreibt: „Das französisch-russische Bündnis ist durch 
gewisse militärische Anordnungen in Polen ohnehin bereits sehr geschwächt. 
Wird es künftig noch in Europas Gleichgewicht dasselbe Gewicht darstellen 
wie früher? Mehr als je ist denn auch die Stunde für die Franzosen 
gekommen, sich nicht von ihrem inneren Hader hypnotisieren zu lassen und 
für die Vorzeichen von außen blind und taub zu bleiben.“ 
Die „Lanterne“ fragt Herrn Pichon, „wie es mit dem französisch- 
russischen Bündnis steht, und ob wir etwa 20 Milliarden nach Petersburg 
ausgeführt haben, um zu einem auf unsere Kosten abgeschlossenen Ein- 
vernehmen zwischen Rußland und Deutschland zu gelangen“. 
„Rappel“ sagt: „Wunsch und Ziel der Berliner Regierung scheint 
die Rückkehr zum alten Dreibund der drei Kaiserhöfe zu sein. Der Ge- 
danke, daß Petersburg dem deutichen Drängen nachgibt, ist uns fern. Es 
ist aber unmöglich, nicht zu fühlen, daß die deutsche und österreichische 
Diplomatie auf eine Erneuerung des Zustandes vor 1879 hinarbeiten. 
Wenn Rußland alten Ueberlieferungen und neuem Entgegenkommen nach- 
geben würde, dann würde angesichts der österreichisch-italienischen Feind- 
seligkeit der Dreibund mit Petersburg und ohne Rom wiedererstehen.“
	        
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