Rämische Anrie. (November Mitte — Dezember 23.) 567
stattfinden und diejenigen, die nicht teilnehmen können, schriftlichen Bericht
erstatten müssen. Die Vorlesungen, welche die Professoren in den Seminaren
halten, müssen vorher zur Genehmigung vorgelegt werden. Der Modernisten-
eid muß alljährlich erneuert werden und zu ihm sind alle verpflichtet, die
ein geistliches Amt bekleiden. Alle, die den Eid verletzen oder mit seiner
Ablegung zögern, werden der Inquisition angezeigt. Weiter dürfen Prediger,
denen die Ausübung ihres Amtes in einer Diöbzese verboten ist, in keiner
andern mehr zum Predigen zugelassen werden.
Mitte November. Gegen den Baron de Mathies.
Der Papst antwortet auf die Beschwerde des Bischofs Dr. Alois
Schäfer (siehe Deutsches Reich (Sachsen) 4. November!) in einem eigen-
händigen Schreiben, daß er mit dem Bischof über die schwere Ungerechtig-
keit, die dem König zugefügt worden ist, tief betrübt sei und daß er sobald
als möglich einen öffentlichen Widerruf und eine Entschuldigung seitens
des Monsignore de Mathies herbeiführen werde.
8. Dezember. Das Trauerjahr 1911.
Der Papst sagt für das Jahr 1911 alle Empfänge größerer Gruppen
von Pilgern ab und wird auch Einzelaudienzen auf das Allernotwendigste
beschränken, weil das Jahr, für welches die Italiener großartige Festlich-
keiten zur Erinnerung an den Sturz der weltlichen Macht des Papsttums
vorbereiten, ein Trauerjahr für die Kirche sei.
15. Dezember. Verfahren gegen Prinz Max von Sachsen,
Professor für kanonisches Recht und Liturgie in Freiburg (Schweiz).
Er hatte in der Zeitschrift „Roma e l’Oriente" einen Artikel ver-
öffentlicht: „Gedanken über die Frage einer Vereinigung der christlichen
Kirchen“". Darin stellt der Prinz die katholische Kirche in ihren auf Ver-
einigung der verschiedenen katholischen Bekenntnisse gerichteten Bestrebungen
als gewalttätig und herrschsüchtig hin. Die kirchliche Union im Orient,
wie sie von Rom durchgeführt würde, käme einer vollen Unterjochung gleich.
Der Papst befahl dem Herausgeber der Zeitschrift, diesen Artikel zu
vernichten, und zitierte den Prinzen nach Rom.
20. Dezember. Zum Aufsatz des Prinzen Max.
Die „Kölnische Volkszeitung“ erfährt aus Rom: In eingeweihten
vatikanischen Kreisen verlautet, Prinz Max sei bei seinem Artikel beinahe
wörtlich den Ausführungen des ehemaligen Münchener Kirchenhistorikers
Alois Pichler in seiner zweibändigen, 1864 erschienenen und auf dem Index
stehenden Geschichte der Kirchentrennung zwischen Orient und Okzident ge-
folgt. (Das Privatsekretariat des Prinzen tritt aber dieser Behauptung
energisch entgegen.) Obwohl die Angelegenheit auf Pius X. einen be-
trübenden Eindruck gemacht habe, wisse man doch im Vatikan die sonstigen
ausgezeichneten Priestereigenschaften des Prinzen zu schätzen und suche den
Vorfall zu vergessen in der Annahme, daß der Verfasser von guter Absicht
geleitet gewesen und bei umfassender Kenntnis der ganzen Materie eine
andere Darstellung geboten hätte. Im übrigen übermittelte Prinz Max
dem Heiligen Vater ein Ergebenheitsschreiben mit dem Ausdruck des Be-
dauerns, daß er mit seinen Ausführungen falsch verstanden worden sei.
23. Dezember. Die vom Payst befohlene Widerlegung des
Artikels des Prinzen Max in der Zeitschrift „Roma e l'’Oriente“.
Die Kritik besagt: Der Unionsvorschlag weise dem Papst nicht die
Stellung des Vaters und Meisters aller Gläubigen im Orient und Okzident,