Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

590 Kußland. (Januar 24. 29.) 
bindungen mit den Besitzungen im fernen Osten und bildet ein untrenn- 
bares Glied der großen sibirischen Bahn. Diese Erwägung bewog seinerzeit 
die russische Regierung zu sehr bedeutenden Ausgaben hinsichtlich der Garantie 
für das Baukapital der Bahn und die Deckung der Betriebsdefizite. Für 
die Regierung ist es daher außerordentlich wichtig, sich die unmittelbare 
Kontrolle über die Bahn und die Möglichkeit zu wahren, ihre Tarife zu 
regulieren, was naturgemäß bei Uebergabe der Bahn in die Hände eines 
internationalen Syndikates unmöglich wäre. Endlich bietet das Projekt 
auch vom rein finanziellen Standpunkte aus nicht die dauernde Garantie, 
daß bei einer neuen Sachlage voll befriedigende Resultate erreicht werden, 
da der in Vorschlag gebrachte Plan den Charakter eines in großem Maß- 
stabe vorgenommenen, aber noch nirgends praktisch erprobten Ver- 
suches trägt. 
Die russische Regierung wendet sich dann der Alternative des amerika- 
nischen Vorschlages zu, der die Heranziehung russischen Kapitals zur Teil- 
nahme an der Finanzierung der projektierten Linie Tschin-Tschou-Fu-Aigun 
und anderer Walünsiger Eisenbahnunternehmungen des internationalen 
Syndikates in der Mandschurei betrifft; sie erkennt hierbei die ernste Be- 
deutung der erwähnten Linien für die russischen Interessen in politischer 
und strategischer Hinsicht an, weil die Bahn von Süden her nicht nur zu 
der Ostchinabahn, sondern auch zu den russischen Besitzungen bei Aigun 
den Zugang eröffne. Die russische Regierung willigt prinzipiell ein, den 
Vorschlag in Beratung zu ziehen, sobald sie von den Grundzügen des Unter- 
nehmens in Kenntnis gesetzt ist; auch behält sich die russische Regierung 
vor, ihr Verhalten zu künftigen Unternehmungen dieser Art in Unabhängig- 
keit von der Bedeutung jeder einzelnen vom Standpunkte der russischen 
Interessen aus zu bestimmen. 
24. Januar. (Finnland.) Erklärung zahlreicher deutscher 
Universitätsprofessoren über die zwischen Rußland und Finnland 
schwebende Differenz: 
1. Nach fast einmütigem Urteil der angesehensten Rechtsgelehrten 
aller Kulturvölker erkannte Kaiser Alexander I. im Jahre 1809 bei der 
Vereinigung Finnlands mit Rußland Finnland die Stellung eines vom 
russischen Staat sich unterscheidenden Staates zu. Die Zerstörung oder 
auch nur Beeinträchtigung dieser politischen Selbständigkeit Finnlands 
würde einen Bruch feierlich gegebener Versicherungen und die Aufhebung 
der durch mehrere Menschenalter als unantastbar anerkannten Rechts- 
ordnung bedeuten. 
2. Wir würden den bei dem Verlust der politischen Selbständigkeit 
unvermeidlichen Zusammenbruch der eigentümlich finnländischen Kultur tief 
beklagen, da diese unter harten Mühen und aus eigener Kraft errungene 
Kultur ein sehr schätzbares Glied des gesamten modernen Kulturlebens bildet. 
3. Wir können nicht denken, daß die russische Gesellschaft, und daß 
namentlich die gesetzlichen Vertreter des russischen Volkes den inneren Auf- 
bau des politischen Lebens ihres Vaterlandes damit beginnen werden, daß 
sie zu einem offenkundigen Verfassungsbruch und damit zugleich zur poli- 
tischen und geistigen Vernichtung eines tüchtigen und stets loyalen Volkes 
ihre Hand bieten. 
29. Januar. Die Revision des Generals Jakubowsky im 
Amurgebiet ergab, daß beim Bau von Kasernen und Befestigungen 
Millionen unterschlagen worden sind.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.