Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

640 Pereinige Siasten von Nerdamerike und Kanad#. (Juli 31.— Aug. 18.) 
geht bei dieser Gelegenheit die zahlreichen Aussprüche des Kaisers durch 
und kommt zu dem Schluß, daß Wilhelm II. früher stets nur impulsiv 
gehandelt habe. „He seized the spirit of the moment.“ „Aber“, urteilt 
Brooks weiter, „der Kaiser ist immer bemüht, das Richtige zu tun. Er 
gehört nicht zu den furchtsamen konstitutionellen Herrschern. Er ist auch 
kein müßiger Monarch, der sich nur mit Allgemeinheiten befaßt, und seine 
Aufgabe in der Eröffnung von Wohltätigkeitsbasaren erblickt. Nein, der 
Kaiser ist eine Persönlichkeit, die sich zum Führer ausersehen glaubt und 
die Monarchie für eine unerschöpfliche, allgegenwärtige, väterliche und un- 
fehlbare Macht hält. Sein Geist ist von einer wundervollen Regsamkeit. 
Ein leichtes und bewegliches Werkzeug, das blitzartig arbeitet und Eindrücke 
schnell erfaßt.“ Ganz besonders hat es Brooks die „internationale 
Höflichkeit des Kaisers“ angetan. Er erinnert an das Kondolenz- 
schreiben an die Witwe Mac Mahons und Canroberts, an die Begnadigung 
der französischen Spione am Begräbnistage Carnots und vor allem an 
das Verhalten des Kaisers während der letzten Krankheit der Königin 
Viktoria. Am Schlusse seines umfangreichen Artikels läßt Brooks die Ver- 
dienste des Kaisers noch einmal Revue passieren und schreibt: „Der Kaiser 
nimmt in der Weltgeschichte heute eine Stellung ein, die etwas Napoleon- 
haftes an sich hat. Er ist heute mehr als der brillanteste, unternehmendste 
und tatkräftigste Herrscher Europas. Ihm verdankt Deutschland die Aus- 
gestaltung seiner Armee und Flotte. Man kann den Kaiser sogar als den 
Schöpfer der deutschen Flotte betrachten, desgleichen als den von Groß- 
Deutschland. Er hat sein Volk für die Weltpolitik begeistert, ihre Be- 
sitzungen und Interessenkreise vergrößert und den Provinzialismus und 
Partikularismus verbannt. Er hat verstanden, sie für die Welt außerhalb 
Berlins zu interessieren und dem alten eingewurzelten Lokalpatriotismus 
eine neue und moderne Richtung zu geben.“ 
31. Juli. In Texas erschießen Weiße viele wehrlose Neger, 
zum Teil nach Abhaltung von Lynchgerichten. 
9. August. (New Nork.) Ein Syndikat mit 600 Millionen 
Mark Kapital will in Kleinasien Eisenbahnen bauen und in Tur- 
kestan und den oberen Euphrat= und Tigristälern die dort ver- 
muteten Mineral= und Olschätze erschließen. 
9. August. (New VNork.) Ein entlassener städtischer Hafen- 
arbeiter verwundet an Bord des Lloyddampfers „Kaiser Wilhelm 
der Große“ den Major von New York William J. Gaynor durch 
einen Schuß in den Kopf. 
18. August. (Kanada.) Programmrede des Premierministers. 
Der durch den Westen der Dominion reisende Premierminister Sir 
Wilfred Laurier erwidert in Vancouver auf die Forderungen der 
Arbeitervereinigungen, daß die Regierung zwar die Kopftaxe für chine- 
sische Einwanderer von 500 auf 1000 Dollar erhöhen könne, daß es aber 
die britische Reichspolitik nicht zulasse, „diese entwürdigende Abgabe“ auch 
auf japanische Einwanderer auszudehnen. 
In einer Versammlung von 10000 Farmern aus Alberta, die gegen 
das Schutzzollsystem protestierten, erklärte der Minister, daß es un- 
möglich sei, in einem jungen Lande wie Kanada den Freihandel ein- 
zuführen, weil man die neuen Ansiedler nicht besteuern dürfe und deshalb
	        
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