Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

644 Vereinigle Staaten von Nordamerike und Kauada. (Dezember 5. 6.) 
5. Dezember. Eröffnung der zweiten Session des Kongresses. 
6. Dezember. Botschaft des Präsidenten Taft: 
Durch die Entscheidung des Haager Schiedsgerichts über die Frage 
der Neufundlandfischerei wurde zwischen den Vereinigten Staaten und 
England eine Streitfrage erledigt, der gegenüber jedes Hilfsmittel der 
Diplomatie versagt hatte, die seit fast 90 Jahren eine ständige Quelle von 
Reibungen war und deren gemeinsames Interesse ist, die freundschaftlichen 
und herzlichsten Beziehungen zueinander zu erhalten. 
Die Entscheidung des Schiedsgerichts über die Venezuelafrage 
wird als zufriedenstellend bezeichnet, da sie eine Reihe wichtiger Beziehungen 
anerkenne. Ueber die von den Niederlanden auf Anregung der Vereinigten 
Staaten unternommenen Schritte, den Haager Schiedsgerichtshof zu dem 
obersten Prisengericht zu machen, sei von den Signatarmächten der ur- 
sprünglichen Konvention ohne Widerspruch ein Protokoll unterzeichnet 
worden. Auch die Vorschläge, dem Schiedsgerichtshof die Funktionen eines 
unumschränkten Gerichtshofes zu übertragen, hätten Erwiderungen der 
Mächte veranlaßt, die hoffen ließen, daß das Ziel in vernünftigen Grenzen 
in naher Zukunft erreicht werde. Bezüglich der vorgeschlagenen Friedens- 
kommission hat der Präsident den Kongreß ermächtigt, die Beschränkung 
der Rüstungen in Erwägung zu ziehen. Die Antworten der fremden 
Regierungen stehen noch aus. 
Die Botschaft erwähnt ferner die Verträge, die mit England über 
die schiedsgerichtliche Erledigung finanzieller Ansprüche geschlossen wurden, 
die Abmachungen mit Kanada und den Plan einer internationalen An- 
leihe für den Bau der Tschingan-Aigun-Bahn in der Mandschurei, den 
Rußland und Japan zunächst wegen der Schwierigkeit der Ausführung ab- 
gelehnt haben, der aber noch Gegenstand freundschaftlicher Erörterungen 
zwischen den interessierten Mächten sei. Die Politik der Regierung in 
diesen Fragen sei von dem Wunsche geleitet, amerikanisches Kapital für die 
Entwicklung Chinas zu verwenden, als Mittel der Förderung der materiellen 
Wohlfahrt Chinas ohne Benachteiligung seiner legitimen Rechte als un- 
abhängige politische Macht. Die von amerikanischen Bankiers an China 
geliehenen fünfzig Millionen Dollars sollten der Währungsresorm dienen, 
für deren Durchführung China die amerikanischen Experten als Ratgeber 
verwenden wolle. 
Die Botschaft hebt sodann die herzlichen Beziehungen hervor, die 
mit dem lateinischen Amerika bestehen, weist auf die Schritte hin, die 
eine Gruppe von amerikanischen Bankiers zur Sanierung der Finanzen 
Honduras, unternommen hat. Der Sturz der Regierung Madriz' und der 
gemäßigte versöhnliche Geist der Parteien werde hoffentlich Nicaragua bald 
den ihm gebührenden Platz unter den geordneten fortschrittlichen Ländern 
der Welt wiedergeben. 
Ueber die Tariffrage heißt es: die gesamte Geschäftswelt habe 
den Proklamationen des Präsidenten über die Gewährung der Minimal- 
sätze zugestimmt und damit Zeugnis abgelegt für den befriedigenden Stand 
der Handelsbeziehungen. Die Verhandlungen mit Kanada würden im 
Januar in Washington wieder eröffnet werden. Es stehe zu hoffen, daß 
das Streben beider Regierungen nach einem für beide Teile vorteilhaften 
Maß von Reziprozität dann zum Ziele gelange. Dringend notwendig 
sei die Stabilisierung von amerikanischen Banken und von Filialen solcher 
in fremden Ländern; ebenso die Gewährung von Subsidien oder Post- 
subventionen an die amerikanische Handelsschiffahrt. 
Der Ausgabenetat für das mit dem 30. Juni 1912 abschließende
	        
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