Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

Frankreich. (Mai 1.—8.) 415 
1. Mai. Der „Temps“ über einen Marokkoartikel der „Nordd. 
Allgem. Zeitung“. 
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ hat in sehr treffenden 
Worten die Berechtigung des von Frankreich verfolgten Zieles anerkannt. 
Sie weiß eben, daß in solchen Dingen alle Großmächte gebieterische 
Pflichten haben. Sie weiß, daß Deutschland diese Pflichten in sehr um- 
fassender Weise immer erfüllt hat, und wir stellen mit Befriedigung die 
courtoisievolle Haltung des halbamtlichen Blattes fest. Doch hätte sich die 
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ enthalten können, die Befürchtung aus- 
zusprechen, daß Frankreich, durch die Ereignisse fortgerissen, sein Programm 
überschreiten werde. Die in Berlin ins Auge gefaßte Gefahr, daß Frank- 
reich sich ohne seinen Willen fortreißen lassen könnte, ist nicht zu befürchten. 
Man hat von einer Frankreich feindlichen Bewegung gesprochen, welche 
durch Frankreichs Truppenbewegungen verursacht werden könnte. Die 
neuen Marokkomeldungen zeigen, daß die französischen Vorbereitungen um 
Fez eine beruhigende Wirkung ausübten, und niemals wird Marokko 
weniger der Gefahr einer Zerstückelung ausgesetzt sein, als wenn scherifische 
Truppen gut geschult und gut bezahlt werden. Der Artikel der „Nord- 
deutschen Allgemeinen Zeitung“, so schließt der Temps, „hat für uns nichts 
Beunruhigendes; denn im ersten Teil läßt er unseren Absichten Gerechtigkeit 
widerfahren, und im zweiten Teil faßt er Hypothesen ins Auge, welche 
Frankreich entschieden von sich weist.“ (Vgl. Deutschland 30. April.) 
7. Mai. Erfundene Nachrichten über eine deutsche Aktion 
in Marokko. 
Die „Preß-Zentrale“ veröffentlicht in später Nachtstunde die ihr „von 
besonderer, stets gut unterrichteter Seite zugegangene Nachricht“, die 
deutsche Regierung habe beschlossen, drei Kreuzer nach den marokkanischen 
Gewässern zu entsenden, die an der Westküste des Scherifenreiches kreuzen 
sollen. Die deutsche Flagge soll speziell in den Häfen von Casablanca, 
Rabat, Mogador und Larache gezeigt werden. — Wolffs Telegraphenbureau 
bezeichnet diese Nachricht als böswillige Erfindung. 
8. Mai. Warnungen der „Humanité“ vor einen marokka- 
nischen Abenteuer. 
Jaures schreibt: „Erschreckt durch den Umfang des Abenteuers wird 
Europa Einwände erheben. Deutschland und Spanien werden sich gegen 
uns verbünden und wir werden uns entweder aus dem marokkanischen 
Faschoda zurückziehen oder durch Zugeständnisse aller Art, durch den Verzicht 
auf unseren Einfluß im Morgenland, durch die erzwungene Oeffnung unseres 
Geldmarktes für die ganze deutsche Finanz, das Recht erkaufen müssen, 
mit Spanien ein anarchisches und haßerfülltes Marokko zu teilen.“ 
8. Mai. Ende des Putsches im Dorfe Lauriere. 
Um einen Steuerbeamten zu ärgern, hatten die Dorfbewohner ihm 
die Steuerakten geraubt und eine Woche lang verborgen gehalten. Erst 
nach seiner Versetzung wurden sie wieder herausgegeben. 
8. Mai. Selbsthilfe der Arbeitslosen in Marsillargues bei Lunel. 
Sie waren ohne Auftrag in die Weinberge und auf die Felder 
gezogen und hatten 14 Tage lang nach Gutdünten dort gearbeitet. Da 
ihnen der Lohn für zwei Wochen nicht ausbezahlt wurde, verprügelten sie 
die Gutsbesitzer, verwüsteten die Gärten und plünderten die Speicher.
	        
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