Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

420 Fr##kreich. (Juni 20.— Mitte.) 
rung stellen, daß es das Land über persönliche und lokale Rücksichten erhebt. 
Der Wahlgang muß vor allem befreit werden von dem, was ihn verdunkelt 
und zu zweideutigen Kombinationen Anlaß gibt. Deshalb muß der zweite 
Wahlkampf überflüssig gemacht werden, denn er bietet den Anlaß zu Ab- 
machungen, deren geringster Fehler ist, daß sie über den Willen des Wählers 
hinausgehen. Es ist unerläßlich, daß das neue Wahlsystem allen Parteien 
ohne Ausnahme billig und gerecht erscheint. Wenn auch eine strenge An- 
wendung der Verhältniswahl taktisch undurchführbar ist und nicht erreicht 
werden kann, so ist es doch angezeigt, den Minderheiten einen ihrer zahlen- 
mäßigen Bedeutung entsprechenden Platz zu gewähren. Andererseits wäre 
es unvorsichtig, unter dem Vorwande, die Anwendung der Verhältniswahl 
zu erleichtern, die mehr als 100 Jahre bestehende administrative Einteilung 
des Landes umzustoßen. Es wäre gefährlich, in dieser Beziehung über eine 
Reform hinauszugehen, die sich damit begnügt, an Stelle der Arrondissements 
Departements als Grundlage für die Wahlkreiseinteilung zu setzen. Die 
Regierung ist der Meinung, daß die Vorlage der Kommission die Elemente 
zu einer wünschenswerten Reform darbiete. Diese Vorlage gewährt den 
Minderheiten eine billige Vertretung. Durch die Zulässigkeit der Ver- 
schwägerung mehrerer Listen beseitigt sie den zweiten Wahlgang. Sie ge- 
währt der Mehrheit die Garantie des nötigen Uebergewichts. Ueber die 
Einzelheiten der Kommissionsvorschläge kann man diskutieren. Im Prinzip 
stellt sich die Regierung auf den Boden dieser Vorlage, und wenn die 
Kammer ihre wesentlichen Bestimmungen in Betracht ziehen will, so kann 
unsere lange und schwierige Arbeit von Erfolg gekrönt werden. 
20. Juni. (Paris.) Ankunft des mexikanischen Expräfidenten 
Porfirio Diaz. 
21. Juni. (Paris.) Das Schwurgericht verurteilt den ehe- 
maligen Liquidator der Kongregation Duez wegen Unterschlagung 
und Fälschung zu 12 Jahren Zwangsarbeit und 100 Franks Geld- 
strafe. (Siehe 8. März 1910.) 
22. Juni. Das „Echo de Paris“ über die möglichen Folgen 
der Kissinger Besprechungen zwischen Kiderlen-Wächler und Cambon: 
„Es ist nicht unmöglich, daß Frankreich, wenn erst einmal die Ord- 
nung in Marokko wiederhergestellt, die Sicherheit aufrecht erhalten und die 
Prosperität des Landes wiedererwacht ist, Deutschland ein ganzes Programm 
für eine ökonomische Kollaboration in Marokko unterbreiten werde.“" Es 
wäre das eine Quelle von unmittelbaren und viel realeren Vorteilen für 
Deutschland als die zweifelhafte Aktionsfreiheit, mit der uns die Norddeutsche 
Allgemeine Zeitung bedrohte. Eine Aktionsfreiheit, die sich an der Feind- 
seligkeit Englands und Frankreichs stoßen würde, wäre erheblich eingeschränkt, 
und sie würde gerade dadurch eine neue Aera der Unordnung und der 
Krisen inangurieren. Das ist aber nicht die Politik des Kaisers, der erst 
heute den Alldeutschen in Hamburg den Mund geschlossen hat, indem er 
energisch seine Friedensliebe und das tiefe Friedensbedürfnis Deutschlands 
betonte. 
Mitte Juni. (Paris.) Das neue Wochenblatt „L'Alsace= 
Lorraine Republicaine“, herausgegeben von dem Elsässer Henri 
Keßler und redigiert von Léon Perrin, erklärt auf dem Boden des 
Frankfurter Friedens-Vertrages zu stehen und für eine Versöhnung
	        
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